Internationale Wissenschaftler fordern ethische Richtlinien für Kontrollstudien zu weltweiten Maßnahmen gegen den Klimawandel
195 Vertragspartner haben auf dem Pariser Klimagipfel 2015 Maßnahmen gegen den Klimawandel beschlossen. Wer in der Folge wieviel Treibhausgase reduziert hat, wird derzeit weltweit in zahlreichen Studien untersucht. Doch an welchen ethischen Kriterien wird der Erfolg der Maßnahmen gemessen? Eine Analyse der Prüfkriterien legt nun ein Zusammenschluss internationaler Philosophen sowie Sozial- und Politikwissenschaftler vor, denen auch Prof. Dr. Darrel Moellendorf, Politikwissenschaftler an der Goethe-Universität, angehört.
FRANKFURT. Zehn
von sechzehn untersuchten Studien zur Bewertung der weitweiten Anstrengungen
gegen den Klimawandel urteilen nach Kriterien, die „voreingenommen und stark
vereinfachend sind“. Damit bevorteilten sie vor allem die wohlhabenden Länder
der Erde. Zu diesem Schluss kommen 18 internationale Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler in ihrer Studie „Ethical choices behind quantifications of fair
contributions under the Paris Agreement“, an der auch der
Politikwissenschaftler Prof. Dr. Darrel Moellendorf beteiligt ist. Im Vorfeld
des für November in Glasgow geplanten Weltklimagipfels fordern sie deshalb,
diese Kriterien transparent zu machen und politisch zur Diskussion zu stellen.
„Viele dieser Bewertungen von Klimagerechtigkeit gelten als
neutral und unabhängig, was sie aber nicht sind und vielleicht auch gar nicht
sein können“, sagt Darrel Moellendorf, Politikwissenschaftler mit dem
Schwerpunkt Umweltethik an der Goethe-Universität. „Wir müssen über diese
Kriterien nachdenken, bevor auf Grundlage dieser Studien neue Beschlüsse
gefasst werden. Andernfalls wird es weiterhin keine Klimagerechtigkeit geben.
Und Klimagerechtigkeit bedeutet: Länder, die eine größere Kapazität haben,
gegen den Klimawandel vorzugehen, müssen auch größere Anstrengungen
unternehmen.“
Selbst der anerkannten und als unabhängig geltenden
wissenschaftlichen Analyse „Climate Action Tracker“ (CAT), die von Medien,
Regierungen und der Zivilgesellschaft zur Einschätzung klimagerechter Schritte
herangezogen wird, attestieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
Kriterien, die wohlhabendere Länder bevorzugen. So liege etwa auch in
CAT-Analysen das in der Europäischen Union praktizierte Grandfathering-Prinzip
zugrunde – wenn auch „tief im Innern ihres Maschinenraums versteckt“, so die
Wissenschaftler: Nach dem Grandfathering-Prinzip erhalten Anlagen
kostenlose Zertifikate gemäß ihren bisherigen Emissionen. Dieses Prinzip
benachteilige Anlagen, die früher weniger durch Emissionen zum Klimawandel
beigetragen hätten. Zu einer Schieflage in der Bewertung von Klimagerechtigkeit
führe zudem auch, dass die „Not“ mancher Länder, also deren schwächere
ökonomische Lage, bei der Beurteilung ihrer Klimagerechtigkeit nicht
berücksichtigt werde.
„Die Studien sollten diese unterschiedlichen Ausgangslagen
der Länder offenlegen“, sagt Moellendorf. „Auch sollte die größere
Verantwortung der Industrienationen in die Bewertung von klimagerechtem Handeln
einfließen. Und wir sollten uns darüber klar sein, dass es eine völlig neutrale
Bewertung von Klimagerechtigkeit nicht gibt. Nach welchen Kriterien wir sie
beurteilen, sollte aber transparent gemacht werden und auch politisch
diskutiert werden.“
Neben dem Politikwissenschaftler Prof. Dr. Darrel Moellendorf der
Goethe-Universität sind folgende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an
der Studie beteiligt:
Kate Dooley, University of
Melbourne; Christian Holz, Carleton University,Ottawa; Sivan Kartha,
Stockholm Environment Institute, Boston; Sonja Klinsky, Arizona State
University; Timmons Roberts,, Brown University, Rhode Island; Henry
Shue, University of Oxford; Harald Winkler, University of Cape Town;
Tom Athanasiou, Climate Equity Reference Project, Berkeley; Simon Caney,
University of Warwick; Elizabeth Cripps, University of Edinburgh; Navroz K.
Dubash, Centre for Policy Research, New-Delhi; Galen Hall, Brown University;
Paul G. Harris, Education University of Hong Kong; Bård Lahn, CICERO Center for
International Climate Research, Oslo; Benito Müller, University of Oxford;
Ambuj Sagar, Indian Institute of Technology, Delhi; Peter Singer, Princeton
University.
Publikation in „Nature Climate Change“:
https://dx.doi.org/10.1038/s41558-021-01015-8
Weitere Informationen
Prof. Dr. Darrel Moellendorf
Institut für Politikwissenschaft/ Forschungsverbund „Normative Ordnungen“
Goethe-Universität Frankfurt
E-Mail: darrel.moellendorf@normativeorders.net
Redaktion: Pia Barth, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit, Abteilung PR & Kommunikation, Telefon 069 798-12481, Fax 069 798-763-12531, p.barth@em.uni-frankfurt.de