Bundesweite Langzeitanalyse untersuchte 250 Millionen Krankenhausaufnahmen
Von
allen chronischen Krankheiten, die in Deutschland die Einweisung in ein
Krankenhaus erfordern, hat die Leberzirrhose die höchste Mortalitätsrate. Wird
sie als Komorbidität anderer chronischer Krankheiten diagnostiziert, führt sie
mindestens zu einer Verdoppelung der Sterblichkeitsrate. Insgesamt hat sich die
Zahl der Hospitalisierungen mit Leberzirrhose trotz der Einführung
hochwirksamer Medikamente gegen Hepatitis C bundesweit erhöht.
Alkoholmissbrauch bleibt dafür bei weitem die Hauptursache. Das ergab eine
Studie unter der Leitung von Prof. Jonel Trebicka vom Universitätsklinikum
Frankfurt, die einen Beobachtungszeitraum von 14 Jahren umfasste.
FRANKFURT. Die Zirrhose, bei der funktionsfähiges Lebergewebe untergeht und vernarbt, ist das gemeinsame Endstadium der meisten chronischen Lebererkrankungen und die vierthäufigste Todesursache in Mitteleuropa. Über ihr epidemiologisches Profil in Deutschland lagen jedoch bislang kaum aktuelle Erkenntnisse vor. Deshalb entschlüsselte ein Forschungsteam um Prof. Jonel Trebicka anhand der Datensätze des Statistischen Bundesamtes die rund 250 Millionen Krankenhausaufnahmen, die von 2005 bis 2018 in Deutschland aus irgendeinem Grund erfolgt waren, gemäß der 10. Version der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10). 0,94 Prozent dieser Hospitalisierungen waren der Diagnose Leberzirrhose zuzuordnen, in der Mehrzahl der Fälle als Begleit- und nicht als Haupterkrankung. In absoluten Zahlen nahmen die Einweisungen mit Leberzirrhose im Beobachtungszeitraum von 151.108 auf 181.688 zu.
Der primäre Endpunkt der Studie war die Sterblichkeit an
Leberzirrhose im Krankenhaus. Zwar ist diese Mortalitätsrate im
Beobachtungszeitraum erfreulicherweise von 11,57% auf 9,49% gesunken, liegt
damit aber immer noch deutlich über den entsprechenden Raten anderer chronischer
Krankheiten wie Herzinsuffizienz (8,4%), Nierenversagen (6,4%) und
chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (5,2%). Trat eine Leberzirrhose
begleitend zu einer anderen chronischen Krankheit auf, dann erhöhte sie deren
Mortalitätsrate um das Zwei- bis Dreifache, am stärksten bei infektiösen
Atemwegserkrankungen.
Dank der Einführung direkt wirksamer antiviraler Medikamente gegen
Hepatitis C-Erkrankungen hat sich der Anteil der HCV-bedingten Zirrhosen im
Beobachtungszeitraum auf knapp ein Drittel reduziert. Umgekehrt hat sich die
Häufigkeit von Zirrhosen, die durch eine nicht-alkoholische Fettleber bedingt
sind, in dieser Zeit vervierfacht, parallel zu einem Anstieg von Patienten mit
krankhaftem Übergewicht (Adipositas). Unbeeinflusst von diesen ätiologischen
Verschiebungen dominieren jedoch weiterhin die durch Alkoholmissbrauch
entstandenen Zirrhosen. Sie machen 52 Prozent aller in der Studie erfassten
Zirrhosen aus, in absoluten Zahlen mit steigender Tendenz.
Vermutlich aufgrund der in deutschen Kliniken weithin befolgten
Behandlungsrichtlinien, zum Beispiel durch endoskopische Prozeduren oder die
Gabe nicht-selektiver Beta-Blocker, treten Blutungen im Magendarmtrakt als
Komplikation einer Leberzirrhose im Krankenhaus immer seltener auf. Blutungen
aus Krampfadern in der Speiseröhre waren 2018 sogar auf ein Zehntel ihres
Ausgangswertes von 2005 zurückgegangen. Auf der anderen Seite haben Verschlechterungen des Krankheitsbildes
aufgrund von Bauchwassersucht (Ascites) oder von Gehirnstörungen durch
unzureichende Entgiftungsarbeit der Leber zugenommen. Die Zahl der
Pfortaderthrombosen wiederum verdoppelte sich parallel zu einer intensiveren
bildgebenden Diagnostik.
Verglichen mit anderen chronischen Krankheiten, waren die mit
Zirrhose aufgenommenen Patienten deutlich jünger: Die Hälfte von ihnen hatte
das 64. Lebensjahr noch nicht überschritten. In den ostdeutschen Bundesländern
waren höhere Hospitalisierungs- und Krankenhausmortalitätsraten zu verzeichnen
als in den westdeutschen. Bundesweit waren rund zwei Drittel der mit einer
Leberzirrhose hospitalisierten Patienten Männer. Sie starben häufig bereits in
ihrem sechsten Lebensjahrzehnt oder früher, woraus sich die große Zahl
verlorener gesunder Lebensjahre und die hohe sozioökonomische Belastung
erklärt, die mit einer Leberzirrhose einhergeht. Denn Männer dieses Alters
machen noch immer den Großteil aller Berufstätigen aus.
„Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass die Entscheider und Kostenträger
des Gesundheitswesens viel stärker in die Prävention alkoholbedingter
Leberzirrhosen investieren sollten“, bilanziert Prof. Jonel Trebicka. „Sie
verdeutlichen auch, wie wichtig es ist, die Leberzirrhose als Begleiterkrankung
anderer chronischer Krankheiten wahrzunehmen und zu behandeln.“
Publikation:
Wenyi Gu, Hannah Hortlik, Hans-Peter
Erasmus, Louisa Schaaf, Yasmin Zeleke, Frank E. Uschner, Philip Ferstl, Martin
Schulz, Kai-Henrik Peiffer, Alexander Queck, Tilman Sauerbruch, Maximilian Joseph
Brol, Gernot Rohde, Cristina Sanchez, Richard Moreau, Vicente Arroyo, Stefan
Zeuzem, Christoph Welsch, Jonel Trebicka: Trends
and the course of liver cirrhosis and its complications in Germany: Nationwide
populationbased study (2005 to 2018) The Lancet Regional
Health - Europen 2022;12: 100240 https://doi.org/10.1016/j.lanepe.2021.100240