Einzelzelltechniken erlauben neue Einsichten auf Zellebene
FRANKFURT. Wie erholt sich das Herz nach einem
Infarkt? Was unterscheidet junge Herzen von alten? Diese Fragen wollen Forscher
mithilfe neuer Technologien beantworten, die verschiedenste Zelltypen und ihre
Aktivitäten bis auf die Ebene von Proteinen und Genen verfolgen. In der
aktuellen Ausgabe von Forschung Frankfurt erklärt Prof. Stefanie Dimmeler,
Sprecherin des Exzellenzclusters „Cardio-Pulmonary Institute“, wie diese
Erkenntnisse kranken Herzen künftig besser bei der Regeneration helfen könnten.
Herz und Gefäße bilden ein
hochkomplexes Organsystem, in dem unterschiedlichste Zelltypen reibungslos
zusammenarbeiten müssen. Die Endothelzellen, die alle Blutgefäße auskleiden,
stabilisieren zusammen mit den Gefäßmuskelzellen die Gefäße und regulieren den
Blutdruck. Für das Herzpumpen sind wiederum die Herzmuskelzellen
verantwortlich. Was passiert aber in kranken oder altersschwachen Herzen? Das
konnten Herzbiologen bisher nur auf der Ebene von Geweben untersuchen. Biologisch relevante
Vorgänge, die sich auf der Zellebene abspielen, könnten aber ebenfalls eine
Rolle spielen.
Nun gewähren neu entwickelte Verfahren zur
Analyse einzelner Zellen erstmals Einblicke in die tatsächliche Vielfalt der
Zellen im Herz-Kreislauf-System. Sie erlauben es, gleichzeitig eine Vielzahl an
aktiven Genen oder Proteinen in einzelnen Zellen zu analysieren. Um all diese
Daten sinnvoll zusammenzuführen und interpretieren zu können, nutzen Forscher
Ansätze aus der künstlichen Intelligenz. Maschinenlernverfahren helfen Stefanie
Dimmeler und Wesley Aplanalp vom Institut für kardiovaskuläre Regeneration,
Zellen mit ähnlichen Eigenschaften zusammenzufassen und nach ihren
Eigenschaften und Funktionen zu ordnen.
„Diese Methoden können wir in
Krankheitsmodellen anwenden, um erstmals zu untersuchen, wie einzelne Zellen
auf Risikofaktoren oder Erkrankungen reagieren“, erklärt Dimmeler. „Wir möchten
beispielsweise wissen, ob sich alle Zellen gleichzeitig verändern, oder ob es
nur einzelne Zellen oder Zellgruppen sind, die dann Nachbarzellen durch
fehlerhafte Kontakte schädigen.“
Von besonderer Bedeutung ist, dass die
Einzelzell-Technologie auch auf kleine menschliche Gewebestücke, wie Biopsien,
anwendbar ist. Zusammen mit vielen internationalen Forschern trägt Dimmeler die
Informationen zusammen, um erstmals einen Atlas des kranken Herzens anfertigen
zu können. Erst kürzlich trafen sich Experten aus aller Welt in Frankfurt um
gemeinsam über die neuen Technologien und die gewonnenen Erkenntnisse zu
diskutieren. Wie umfangreich die Daten sind, die zunächst gesammelt werden
müssen, lässt sich durch einen Vergleich mit dem bereits veröffentlichten
Zellatlas der gesunden Maus ermessen: Dieser umfasst 100 000 Zellen von 20
Organen und Geweben.
Zur Erstellung des menschlichen Zellatlas
wurde im Oktober 2016 in London das Konsortium „Human Cell Atlas“ gegründet.
„Bei manchen Zellarten, die beim Menschen in hoher Zahl vorkommen, reicht
bereits eine kleine Stichprobe, aber um seltene Zellen wie Stammzellen oder
auch komplexe Veränderungen bei Erkrankungen feststellen zu können, müssen sehr viele Zellen analysiert werden“,
erklärt Dimmeler. Daher hat die Chan Zuckerberg Initiative von Facebook-Gründer
Mark Zuckerberg und seiner Frau, der Kinderärztin Priscilla Chan, das Projekt
im Juni 2019 zusätzlich mit 68 Millionen Dollar gefördert.
Die Arbeitsgruppe von Dimmeler
arbeitet zusammen mit dem Kardiologen Prof. Andreas Zeiher und dem
Herzchirurgen Prof. Thomas Walther daran, die Einzelzellbiologie im kranken und
alten Herzen des Menschen aufzuklären. Insbesondere versucht das Team, anhand
von menschlichem Blut und kleinen Gewebestückchen, die bei Herzoperationen
anfallen, zu verstehen, wie der Herzinfarkt und die dann folgende Narbenbildung
die Zusammensetzung und die Kommunikation der Zellen im Herzen verändern. Gibt
es möglicherweise seltene, bisher unbekannte Populationen von Stamm- oder
Vorläuferzellen? Wie verändern sich die Entzündungszellen im Blut herzkranker
Patienten? Und was passiert, wenn die Entzündungszellen ins Herz einwandern?
Während die menschlichen Proben
noch gesammelt werden, haben Dimmeler und ihre Mitstreiter an Mäusen bereits
festgestellt, dass einzelne Zellpopulationen sich im Alter verändern.
Nachfolgende bioinformatische Analysen zeigten zudem eine Veränderung der Gene,
die für die Kommunikation der Zellen untereinander verantwortlich sind. „Wir
konnten im alten Herzen eine Kommunikationsstörung nachweisen. Im jungen Herzen
unterstützen sich die Zellen gegenseitig: Zwischen den Herzmuskel- und
Gefäß-bildenden Zellen liegen Zellen des Bindegewebes, sogenannte Fibroblasten.
Sie schütten Botenstoffe aus, die die Gefäßzellen positiv beeinflussen. Im
Alter werden dagegen andere Botenstoffe gebildet, die zu einer eingeschränkten
Durchblutung des Herzens führen könnten“, erklärt die Biologin.
Die Forscher am
Cardio-Pulmonary Institute, an dem auch die Universität Gießen und das Max
Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung beteiligt sind, hoffen, dass die
Einzelzelltechnologien künftig dazu beitragen werden,
Herz-Kreislauf-Erkrankungen besser zu verstehen. Darauf aufbauend möchten sie
neue therapeutische und diagnostische Verfahren entwickeln.
Ein Bild zum Download finden Sie unter: www.uni-frankfurt.de/84147011
Die aktuelle Ausgabe von „Forschung Frankfurt“ (2/2019) kann von
Journalisten kostenlos bestellt werden bei: ott@pvw.uni-frankfurt.de.
Im
Web: www.forschung-frankfurt.de.