Sep 21 2005

Frankfurter Sozialphilosoph erhält internationale Auszeichnung

Holberg-Gedenkpreis für Habermas

FRANKFURT. Der Frankfurter Sozialphilosoph Prof. Dr. Jürgen Habermas erhält für seine herausragenden wissenschaftlichen Arbeiten auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften, Sozialwissenschaften, Rechtswissenschaften und Theologie den Internationalen Holberg-Gedenkpreis 2005, dies teilte der Vorstand der Ludvig Holberg Gedenkstiftung heute mit. Der Preis ist mit 4,5 Millionen norwegischen Kronen (rund 575.000 Euro) dotiert. Die offizielle Preisverleihung des Internationalen Holberg-Gedenkpreises wird am 30. November 2005 in einer feierlichen Zeremonie in der Håkonshalle in Bergen stattfinden.

Der Vorstand der Gedenkstiftung verleiht den Preis auf Grundlage der Empfehlung einer Fachkommission, die mit international anerkannten Forschern innerhalb der Fachbereiche des Preises besetzt ist. Auszug aus der Begründung der Fachkommission des Holbergpreises: „Jürgen Habermas hat bahnbrechende Theorien über Diskurs und kommunikative Handlung geschaffen und damit neue Perspektiven auf Demokratie und Recht entwickelt... Seine Forschung hat eine große Spannweite und ein ungewöhnliches fachübergreifendes Gewicht. Habermas hat in entscheidender Weise zum Verständnis von Rationalität, Ethik, Legitimität, öffentlicher Meinungsbildung, Modernität, der post-nationalen Gesellschaft und der europäischen Integration beigetragen... In der letzten Zeit hat sich Habermas u.a. mit philosophischen und ethischen Grundlagenproblemen befasst... Habermas hat einen außergewöhnlichen internationalen Einfluss innerhalb sehr vieler Fachbereiche.“

Jürgen Habermas ist seit mehr als vierzig Jahren eine dominierende Persönlichkeit der gesellschaftswissenschaftlichen Theorie. Er war und ist ein aktiver und einflussreicher Teilnehmer an der allgemeinen Gesellschaftsdebatte, so Professor Jan Fridthjof Bernt, Vorstandsvorsitzender der Holberg Gedenkstiftung, die 2003 nach einem Beschluss des norwegischen Parlaments Storting gegründet wurde.

Bis zu seiner Emeritierung vor zehn Jahren forschte und lehrte Habermas an der Johann Wolfgang Goethe-Universität, der er sich immer noch verbunden fühlt. Der in Starnberg lebende Wissenschaftler ist der bekannteste zeitgenössische Vertreter der Kritischen Theorie. Die häufig auch als „Frankfurter Schule“ apostrophierte Tradition gesellschaftskritischen Denkens wurde von den 1920er bis in die 1960er Jahre entscheidend von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno sowie von Herbert Marcuse verkörpert. Die gegenwärtige Gestalt der Kritischen Theorie hat kein zweiter Philosoph so entschieden geprägt wie Habermas. Sein Werk ist politische Theorie und Moralphilosophie zugleich; es ist getragen von der Suche nach den normativen Grundlagen einer kritischen Theorie und einer vernünftigen Moral, die sich auch unter den Bedingungen der modernen Welt als tragfähig erweist. Habermas geht von der Annahme aus, dass in modernen, weltanschaulich pluralen Gesellschaften die verbindliche Grundlage einer von allen geteilten Moral nicht mehr in religiösen Überzeugungssystemen gefunden werden kann. Die Begründung von Recht und Moral kann allein in den Verfahrensregeln argumentativer Rede verankert werden.

Habermas, der an den Universitäten Göttingen, Zürich und Bonn Philosophie, Geschichte, Psychologie, Deutsche Literatur und Ökonomie studierte, kam nach seiner Promotion und einer kurzen Phase als freier Journalist 1956 an das Institut für Sozialforschung nach Frankfurt. Nach Konflikten mit Horkheimer verließ Habermas 1959 das Institut, wo er u.a. an einer Studie zum politischen Bewusstsein Frankfurter Studenten („Student und Politik“) gearbeitet hatte, und reichte seine berühmt gewordene Habilitationsschrift zum „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ bei Wolfgang Abendroth in Marburg ein. Noch vor Abschluss des Habilitationsverfahrens holte Hans-Georg Gadamer den jungen Philosophen 1961 nach Heidelberg. 1964 folgte Habermas dann dem Ruf als Nachfolger Horkheimers nach Frankfurt. In den 1960er Jahren war er ein wichtiger Diskussionspartner der sich formierenden Studentenbewegung. 1971 verließ Habermas die Universität Frankfurt, blieb aber Honorarprofessor in Frankfurt, und wurde in Starnberg zusammen mit Carl Friedrich von Weizsäcker Direktor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung der wissenschaftlich-technischen Welt.

1973 erhielt Habermas den Hegel-Preis. Es folgten der Sigmund-Freud- und der Adorno-Preis. 1981 erschien sein Standardwerk „Theorie des kommunikativen Handelns“. 1985 wurde der Philosoph mit dem Geschwister-Scholl-Preis und der Wilhelm-Leuschner-Medaille ausgezeichnet, ein Jahr später erhielt er den angesehensten deutschen Wissenschaftspreis, den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft, 1995 den Karl-Jaspers-Preis. Gemeinsam mit Siegfried Unseld und Marcel Reich-Ranicki wurde Habermas 1999 mit dem Hessischen Kulturpreis ausgezeichnet, im selben Jahr erhielt er den Theodor-Heuss-Preis, 2001 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Im vergangenen Jahr erhielt Habermas den Kyoto-Preis, neben dem Nobelpreis die weltweit höchste mit 50 Millionen Yen (400.000 Euro) dotierte Auszeichnung für Verdienste um die Wissenschaft.