Physiker an der Goethe-Universität modellieren mehr als eine Million Zustandsgleichungen, um die Struktur von Neutronensternen aufzudecken
Mit Hilfe einer riesigen Anzahl von numerischen Modellrechnungen ist es Physikern der Goethe-Universität Frankfurt gelungen, allgemeine Erkenntnisse über die extrem dichte innere Struktur von Neutronensternen zu erlangen: Abhängig von ihrer Masse haben diese Sterne entweder einen weichen oder harten Kern. Die Ergebnisse wurden heute in zwei Artikeln gleichzeitig veröffentlicht (The Astrophysical Journal Letters, DOI 10.3847/2041-8213/ac9b2a, DOI 10.3847/2041-8213/ac8674).
FRANKFURT. Bislang ist wenig über
das Innere von Neutronensternen bekannt, jene extrem kompakten Objekte, die
nach dem Tod eines Sterns entstehen können: Die Masse unserer Sonne oder sogar
mehr ist zusammengepresst auf eine Kugel mit dem Durchmesser einer Großstadt.
Trotz jahrzehntelanger theoretischer und experimenteller Bemühungen seit ihrer
Entdeckung vor mehr als 60 Jahren ist der innere Aufbau von Neutronensternen
noch zum größten Teil unbekannt. Die größte Herausforderung dabei ist es, die
extremen Bedingungen im Inneren dieser Sterne zu simulieren, weil diese nicht
unter Laborbedingungen auf der Erde nachgestellt werden können. Deshalb
existieren zurzeit viele unterschiedliche mathematische Modelle, die versuchen,
die Struktur von Neutronensternen – von der Oberfläche bis hin zum inneren Kern
– mit Hilfe sogenannter Zustandsgleichungen zu beschreiben.
Physikern
der Goethe-Universität Frankfurt ist es nun gelungen, dem Puzzle um das Innere
dieser Sterne einen wichtigen Teil hinzuzufügen. Im Arbeitskreis von Prof.
Luciano Rezzolla am Institut für Theoretische Physik haben Forscher nun mehr
als eine Million dieser Zustandsgleichungen konstruiert, von denen jede
einzelne mit allen astrophysikalischen Messungen von Neutronensternen und
bekannten Ergebnissen aus der Kernphysik übereinstimmen.
Bei
der Analyse dieser riesigen Anzahl von Zustandsgleichungen machten die
Wissenschaftler eine erstaunliche Entdeckung: „Leichte" Neutronensterne (mit
einer Masse kleiner als die 1.7-fache Sonnenmasse) haben einen weiche äußere
Hülle und einen harten Kern, wohingegen „schwere" Sterne (mit einer Masse
größer als die 1.7-fache Sonnenmasse) eine harte Hülle, aber einen weichen Kern
besitzen. „Das ist ein außerordentlich interessantes Ergebnis, weil es darüber
Aufschluss gibt, wie komprimierbar der Kern eines Neutronensterns sein kann",
sagt Prof. Luciano Rezzolla, „Neutronensterne verhalten sich scheinbar ähnlich
wie Schokopralinen: Leichte Sterne ähneln dabei Pralinen mit einer harten Nuss
umhüllt von weicher Schokolade,“ führt er weiter aus, „Schwere Sterne sind
hingegen eher wie Pralinen mit einer harten Hülle aus Schokolade und einer
cremig weichen Füllung."
Eine
wichtige Rolle in ihrer Analyse spielte dabei die Schallgeschwindigkeit in
dichter Materie, welche der Bachelorstudent Sinan Altiparmak in seiner
Abschlussarbeit ausführlich erforscht hat. Diese Größe beschreibt, wie schnell
sich Schallwellen in Materie ausbreiten. Ihr Wert hängt davon ab, wie hart oder
weich das Medium ist. Schallgeschwindigkeitsmessungen werden beispielsweise
dazu verwendet, den inneren Aufbau unseres Planeten zu bestimmen und
Erdölvorkommen ausfindig zu machen.
Den
Physikern ist es außerdem gelungen weitere, bis dato unbekannte Eigenschaften
von Neutronensternen zu enthüllen. Sie konnten zum Beispiel zeigen, dass
Neutronensterne mit hoher Wahrscheinlichkeit und unabhängig von ihrer Masse
einen Radius von nur 12 km besitzen, was in etwa dem Durchmesser von Frankfurt
am Main entspricht. Autor Dr. Christian Ecker erklärt: „Unsere allumfassende
numerische Studie hat uns nicht nur ermöglicht, präzise Vorhersagen für die
Radien und die maximale Masse von Neutronensternen zu machen, sondern auch neue
Grenzwerte für deren Verformbarkeit durch Gezeitenkräfte in Binärsystemen zu
berechnen. Diese Erkenntnisse werden eine besonders wichtige Rolle dabei
spielen, die zurzeit unbekannte Zustandsgleichung mit zukünftigen
Gravitationswellenmessungen von Neutronensternkollisionen genauer zu
bestimmen."
Obwohl
die genaue Struktur und Zusammensetzung von Neutronensternen weiterhin ein
Geheimnis bleibt, lässt sich die Wartezeit bis zu deren genauer Bestimmung
bestimmt mit ein oder zwei Pralinen versüßen.
Publikationen:
Sinan Altiparmak, Christian Ecker, Luciano
Rezzolla: On the Sound Speed in Neutron Stars. The Astrophysical
Journal Letters (2022) https://iopscience.iop.org/article/10.3847/2041-8213/ac9b2a
Christian Ecker & Luciano
Rezzolla: A general, scale-independent description of the sound speed
in neutron stars. The Astrophysical Journal Letters (2022) https://iopscience.iop.org/article/10.3847/2041-8213/ac8674
Bilder zum Download: https://www.puk.uni-frankfurt.de/128001606
Bildtext: Die Untersuchung der Schallgeschwindigkeit
hat ergeben, dass schwere Neutronensterne eine harte Hülle und einen weichen
Kern haben, während leichte Neutronensterne eine weiche Hülle und einen harten
Kern haben - so wie unterschiedliche Schokoladenpralinen (Bild: P. Kiefer/ L.
Rezzolla).
Weitere Informationen
Dr. Christian Ecker
Institut für Theoretische Physik
Goethe-Universität
069/798-47886
ecker@itp.uni-frankfurt.de
https://tinygu.de/1mxBS
@elements_uni
Redaktion: Dr. Phyllis Mania, Referentin für
Wissenschaftskommunikation, Büro PR & Kommunikation,
Telefon 069 798-13001, Fax
069 798-763-12531, mania@physik.uni-frankfurt.de