​​​​​​​Pressemitteilungen ​​​​​​ ​

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Pressestelle Goethe-Universität

Theodor-W.-Adorno Platz 1
60323 Frankfurt 
presse@uni-frankfurt.de

 

Mär 14 2022
14:25

Heute werden die Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Laureaten von 2021 und 2022 geehrt

Resistente Bakterien und pandemische Viren im Visier: Doppelpreisverleihung in der Frankfurter Paulskirche

Zum ersten Mal in seiner Geschichte wird der Paul Ehrlich-und-Ludwig Darmstaedter-Preis heute in der Frankfurter Paulskirche doppelt verliehen. Mit dem Preis des Jahres 2021 werden Bonnie Bassler und Michael Silverman ausgezeichnet, deren Entdeckung, wie Bakterien miteinander kommunizieren, den Weg zu einer völlig neuen Antibiotikaklasse eröffnet. Die Auszeichnung des Jahres 2022 teilen sich Katalin Karikó, Ugur Sahin und Özlem Türeci, deren Erforschung der messenger RNA (mRNA) in der spektakulär schnellen Entwicklung eines hochwirksamen Impfstoffs gegen Covid-19 gipfelte und zudem aussichtsreiche Perspektiven im Kampf gegen Krebs bietet.

FRANKFURT. Im vergangenen Jahr musste die Verleihung des Paul Ehrlich-und-Ludwig Darmstaedter-Preises pandemiebedingt entfallen. „In diesem Jahr der wiedergewonnenen Präsenz ehren wir Laureaten, die entscheidend zur Überwindung der Pandemie beigetragen haben“, sagt Thomas Boehm, Vorsitzender des Stiftungsrates der Paul Ehrlich-Stiftung und Direktor am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg. „Gleichzeitig zeichnen wir heute eine Entdeckung aus, die einen neuen Ansatz gegen das globale Problem der Antibiotikaresistenz bietet.“

Bakterien, gegen die Antibiotika nichts mehr ausrichten können, sind weltweit auf dem Vormarsch. Das bedeutet eine tödliche Gefahr, die nach Angaben der Weltgesundheits-organisation alarmierende Ausmaße angenommen hat. Neue Antibiotika sind deshalb notwendig. Aber die meisten neuen Wirkstoffe, die entwickelt werden, folgen einem alten Prinzip. Sie stoppen das Wachstum von Bakterien oder töten sie ab. Diesen Angriff kontern die Mikroorganismen naturgemäß mit Mutationen, denen die Selektion widerstandsfähiger Stämme folgt.

Es ist dann nur eine Frage der Zeit, bis sie auch gegen neue Antibiotika resistent geworden sind. Die Paul Ehrlich-und-Ludwig Darmstaedter-Preisträger des Jahres 2021 haben das Fundament für ein neues Antibiotika-Prinzip gelegt. Michael Silverman und Bonnie Bassler entdeckten und entschlüsselten die Sprache, in der Bakterien miteinander kommunizieren. Durch den Austausch bestimmter Signalmoleküle verständigen sich Bakterien darüber, wann sie ein ausreichendes Quorum erreicht haben, um mit hoher Erfolgswahrscheinlichkeit gegen einen Wirtsorganismus vorgehen zu können. Diesen mikrobiellen Chat durch „Quorum Quenching“ pharmakologisch zu unterbrechen, schaltet die Bakterien stumm, ohne sie abzutöten. Sie erfahren keinen resistenzerzeugenden Selektionsdruck. Forschende in aller Welt arbeiten inzwischen daran, solche neuen Antibiotika zu entwickeln. Gegen multiresistente Keime wie beispielsweise Pseudomonas aeruginosa haben sie dabei bemerkenswerte Fortschritte erzielt.

Viren, die wie aus dem Nichts kommen, sind in der Lage, das Leben der gesamten Menschheit schlagartig in Mitleidenschaft zu ziehen. Das haben wir seit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie alle gelernt. Dass diese Pandemie dennoch beherrschbar wurde, ist ganz wesentlich den Leistungen der PaulEhrlich-und-Ludwig Darmstaedter-Preisträger des Jahres 2022 zu verdanken. Durch ihre geistesgegenwärtige Reaktion auf das plötzliche Auftauchen des Coronavirus SARS-CoV-2 gelang es ihnen, in Rekordzeit einen Impfstoff zu entwickeln, der Millionen von Menschen in aller Welt das Leben gerettet hat. Die Basis dieses Erfolgs war ihre jahrzehntelange Erforschung des Botenmoleküls mRNA und dessen Optimierung für medizinische Zwecke. Katalin Karikó suchte seit Beginn ihrer Karriere unbeirrt von vielen Hindernissen nach Wegen, die intrazelluläre Proteinproduktion durch die Gabe von mRNA anzuregen. Dabei machte sie die bahnbrechende Entdeckung, wie sich die Immunabwehr des Körpers gegen extern applizierte mRNA ausschalten lässt. Ugur Şahin und Özlem Türeci fokussierten sich primär darauf, Krebsimpfstoffe zu entwickeln, die dem Immunsystem eines Patienten die Antigene seines eigenen Tumors präsentieren, damit es diesen zerstöre. Dabei entdeckten sie, wie sich die mRNA stabilisieren und die Effizienz ihrer Botschaften signifikant steigern lässt. 2008 gründeten sie das Unternehmen BioNTech. Mehrere therapeutische Krebsimpfstoffe auf mRNA-Basis haben sie dort bereits bis zur klinischen Prüfung entwickelt.

Neben den Hauptpreisen wird heute auch der Paul Ehrlich-und-Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis doppelt vergeben. Mit dem Nachwuchspreis für 2021 wird die Biologin Elvira Mass ausgezeichnet. Sie hat durch die geschickte Anwendung genetischer Markierungsverfahren entdeckt, dass die gesunde Entwicklung eines Organismus schon sehr früh von spezialisierten Immunzellen gesteuert wird, die dem Dottersack des Embryos entstammen. Den Nachwuchspreis für 2022 erhält die Ärztin Laura Hinze. Sie hat mit Hilfe eines genomweiten Screenings entdeckt, auf welchem Weg sich die Resistenz von Leukämiezellen gegen ein bestimmtes Chemotherapeutikum überwinden lässt. Daraus hat sie auch eine neue mögliche Strategie zur Behandlung solider Tumore wie Darmkrebs abgeleitet.

Weitere Informationen
Pressestelle der Paul Ehrlich-Stiftung
Joachim Pietzsch
Tel.: +49 (0)69 36007188
E-Mail: j.pietzsch@wissenswort.com
www.paul-ehrlich-stiftung.de


Redaktion: Joachim Pietzsch / Dr. Markus Bernards, Referent für Wissenschaftskommunikation, Büro PR & Kommunikation, Telefon 069 798-12498, Fax 069 798-763-12531, bernards@em.uni-frankfurt.de

 

Mär 14 2022
10:38

Goethe-Universität steuert bundesweites Projekt zur psychologischen Unterstützung von Geflüchteten

Hilfe für traumatisierte Menschen auf der Flucht

Menschen, die vor Krieg und Gewalt geflohen sind, können das Erlebte nicht einfach hinter sich lassen. Schlaflosigkeit, Konzentrationsstörungen, Albträume gehören zu den Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die Psychotherapie an der Goethe-Universität bietet Therapieplätze für Betroffene an.

FRANKFURT. Seitdem die russische Armee die Ukraine überfallen hat, ist das Leid der Menschen, die in Kellern und U-Bahn-Schächten Schutz suchen, auch in unseren Medien omnipräsent. Wer sich zur Flucht entschließt, hat schon viel Schlimmes erlebt, traumatisierende Erfahrungen auf der Flucht kommen hinzu. Auch weit weg von der Heimat können die Menschen das Schreckliche nicht wirklich hinter sich lassen: Es reist mit in Form von Albträumen, Schlafstörungen, Konzentrationsproblemen, Schreckhaftigkeit, Angst und anderen intensiven negativen Gefühle. Manche Betroffene durchleben das traumatisierende Ereignis in ihrem Inneren immer und immer wieder. Dies alles können Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) sein.

Viele geflüchtete Menschen benötigen daher dringend psychotherapeutische Hilfe. Die Barrieren, vorhandene Angebote wahrzunehmen, sind jedoch hoch. Die Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Goethe-Universität unter der Leitung von Prof. Regina Steil, Prof. Thomas Ehring (LMU München), und Prof. Nexhmedin Morina (Universität Münster) bietet Unterstützung an. Das von der Goethe-Universität aus gesteuerte Projekt zur Psychotherapie der Posttraumatischen Belastungsstörung bietet eine innovative Behandlungsform für traumatisierte geflüchtete Menschen und begleitet dies wissenschaftlich. Bei Bedarf wird die Behandlung dolmetschergestützt durchgeführt.

Die Studie sieht für jeden Teilnehmer zehn Sitzungen von jeweils 100 Minuten Dauer innerhalb von zwölf Wochen vor. Eine Vergleichsgruppe erhält die selbe Behandlung nach einer Wartezeit. Um die Wirksamkeit der neuen Vorgehensweise zu ermitteln, wird der Verlauf der Symptomatik in beiden Gruppen vor und nach der Behandlung sowie drei und zwölf Monate später mittels klinischer Interviews und Selbstbeurteilungsinstrumente erfasst.

An den Standorten Münster, Marburg, München und Frankfurt wurden bisher insgesamt 64 Patientinnen und Patienten in das Projekt aufgenommen. Weitere Behandlungsplätze für Geflüchtete ab 18 Jahren stehen zur Verfügung. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

Weitere Informationen
Julia Reuter
Projektkoordinatorin
Institut für Psychologie, Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie
Goethe-Universität
Telefon 069 798 25374
E-Mail Reuter@psych.uni-frankfurt.de (bevorzugt)

https://project-recap.de/unser-angebot/rescript


Redaktion: Dr. Anke Sauter, Referentin für Wissenschaftskommunikation, Abteilung PR & Kommunikation, 60323 Frankfurt am Main, Telefon 069 798-13066, Fax 069 798-763-12531, sauter@pvw.uni-frankfurt.de 

 

Mär 11 2022
10:15

Deitelhoff und Friedman diskutieren im „StreitClub“ über den Zustand der Gesellschaft – Gäste diesmal: Jan Fleischhauer und Wolfgang Merkel

Deutschland – ein gespaltenes Land?

FRANKFURT. Die Veranstaltungsreihe „StreitClub“ wird fortgesetzt. Nicole Deitelhoff, Professorin für Politikwissenschaft an der Goethe-Universität und Sprecherin des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt, lädt gemeinsam mit dem Publizisten und Moderator Michel Friedman

am Montag, 21. März, um 19:30 Uhr
im The English Theatre Frankfurt,
Gallusanlage 7
60329 Frankfurt am Main

zum Streitgespräch ein. Zu Gast sind diesmal der Journalist Jan Fleischhauer und der Politologe Wolfgang Merkel.

Schon vor der Covid-Pandemie wurde der Niedergang des gesellschaftlichen Zusammenhalts befürchtet, in der Pandemie sogar die Spaltung der Gesellschaft konstatiert. Ist Deutschland ein gespaltenes Land? Was heißt das überhaupt und welche Konsequenzen hätte es für die Demokratie?

Jan Fleischhauer war von 1989 bis 2019 beim Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ tätig, unter anderem als Reporter in Leipzig (1991), als stellvertretender Leiter des Wirtschaftsressorts und stellvertretender Leiter des Hauptstadtbüros. Von 2001 bis 2005 war er Wirtschaftskorrespondent in New York. 2019 wechselte Fleischhauer zum Burda-Verlag und ist beim Nachrichtenmagazin „Focus“ tätig. Der Politologe Wolfgang Merkel ist seit 2004 Direktor der Abteilung Demokratie und Demokratisierung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und Professor für Vergleichende Politikwissenschaft und Demokratieforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin. Merkel zählt zu den angesehensten Vertretern der Vergleichenden Politikwissenschaft im deutschsprachigen Raum. Er prägte maßgeblich die Forschung zu Demokratisierungsprozessen, Systemwechseln und Systemzusammenbrüchen.

Die Veranstaltung ist eine Kooperation zwischen dem Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ), dem Center for Applied European Studies (CAES) und dem English Theatre Frankfurt (ETF). Sie findet im Hybridformat statt. Der Livestream ist auf YouTube abrufbar, den Link finden Sie auf der Homepage des StreitClubs unter https://cutt.ly/streitclub.

Der StreitClub ist ebenso wie die Formate „StreitBus“ (in Kooperation mit dem DemokratieWagen von mehralswählen e.V. und dem Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung) und die Online-Debattenreihe „Kontrovers: Aus dem FGZ“ Teil des Projekts „Frankfurt streitet!“ des Frankfurter FGZ-Standorts. Dabei geht es um die Bedeutung von Streitkultur für die Demokratie. Tickets für den StreitClub sind für 12 bzw. 10 Euro über das English Theatre Frankfurt erhältlich, Pressekarten bei Katja Maasch, maasch@em.uni-frankfurt.de.


Redaktion: Dr. Anke Sauter, Referentin für Wissenschaftskommunikation, Abteilung PR & Kommunikation, Telefon 069 798-13066, Fax 069 798-763-12531, sauter@pvw.uni-frankfurt.de 

 

Mär 8 2022
17:13

Erweiterter Senat wählt Experten für digitale Transformation als neues Präsidiumsmitglied

Ulrich Schielein CIO der Goethe-Universität 

FRANKFURT. Nach seiner Wahl durch den Erweiterten Senat erhält die Goethe-Universität mit Ulrich Schielein erstmals einen Chief Information Officer (CIO). Die Position wird im Rang eines hauptamtlichen Vizepräsidenten besetzt und komplettiert das Präsidialteam, das dann wieder sechs Mitglieder umfassen wird. Damit geht die Goethe-Universität neue Wege – einerseits erfolgt mit der Wahl ein klares programmatisches Bekenntnis zur Digitalisierung, andererseits stehen zukünftig neben vier akademischen Mitgliedern zwei sogenannte Professionals mit an der Spitze der Universität.

Als CIO verantwortet Ulrich Schielein die Entwicklung und Umsetzung einer übergreifenden Digitalisierungsstrategie und somit die strategische Steuerung der Digitalisierung, des gesamten IT-Bereiches und der Weiterentwicklung der IT-Infrastruktur der Goethe-Universität. In sein Aufgabengebiet fallen auch die Zuständigkeiten für Hochschulrechenzentrum, Universitätsbibliothek und studiumdigitale.

Der Präsident der Goethe-Universität, Prof. Dr. Enrico Schleiff: „Wir haben mit Herrn Schielein eine außerordentlich kompetente Persönlichkeit für die künftige Präsidiumsarbeit gewonnen, die mit dem stärker akzentuierten unternehmerischen Hintergrund neue Impulse für die Universität bringen wird. Ich danke dem Erweiterten Senat, dass dieser Herrn Schielein mehrheitlich sein Vertrauen ausgesprochen hat. Herrn Schielein danke ich sehr, dass er sich auf das Experiment der Arbeit an einer der größten deutschen Universitäten einlässt. Mit Herrn Schielein gewinnt die Goethe-Universität einen hervorragenden Experten für das ganze Themenfeld der Digitalisierung und kann sich damit in diesem Bereich mit Nachdruck zukunftsfähig aufstellen.“

Der frisch gewählte CIO, Ulrich Schielein, sagt: „An der neu geschaffenen Rolle als Vizepräsident und CIO reizt mich, an zentraler Stelle zur weiteren Digitalisierung unserer Gesellschaft beizutragen und meine umfangreiche fast 30jährige Berufserfahrung einbringen zu können. Als Vizepräsident und CIO möchte ich als Mitglied des Präsidiums, gemeinsam mit den weiteren universitären Gremien und allen Beteiligten die Digitalisierung der Goethe-Universität in allen Dimensionen von Forschung, Lehre, und Verwaltung gestalten, entscheidend vorantreiben und als ein Aushängeschild einer führenden exzellenten Universität etablieren. Digitalisierung soll dabei u.a. helfen, Prozesse für Forschende, Lehrende, Studierende und Mitarbeitende in der Verwaltung zu vereinfachen und zu automatisieren sowie neue Zugangsmöglichkeiten zu schaffen. Zudem trägt Digitalisierung zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen bei und ermöglicht benachteiligten Gruppen eine bessere Teilhabe“.

Als externer Kandidat für die Rolle des Vizepräsidenten und CIO der Goethe-Universität bringt Herr Schielein einerseits Erfahrung aus seiner Zeit in der öffentlichen Verwaltung bei der Bundesagentur für Arbeit mit, wo er bereits mit dem Thema computerbasierter Aus- und Weiterbildung befasst war. Andererseits war er viele Jahre als international tätiger Berater sowohl in Unternehmen der öffentlichen Hand als auch der Privatwirtschaft aktiv, wo sein Fokus insbesondere auf Themen wie Digitalisierung sowie effizienter und effektiver Einsatz von Informationstechnologien lag. Er begleitete dabei seine Kunden von der Formulierung von Strategien bis zur erfolgreichen Umsetzung komplexer Transformationen. Dies umfasste neben der Implementierung neuer Technologien ebenso die Etablierung neuer Arbeitsformen sowie das Veränderungs-Management. Die Erfahrung aus häufig wechselnden Kundensituationen während seiner Beraterzeit wird ihm helfen, sich rasch in die Spezifika einer Universität einzuarbeiten und gleichzeitig auch Anstöße durch seine bisherigen Erfahrungen zu geben. 


Foto zum Download unter: www.uni-frankfurt.de/113917759


Redaktion: Dr. Olaf Kaltenborn, Leiter PR & Kommunikation, Tel: 069 798-13035, Fax: 069 798-763 12531, kaltenborn@pvw.uni-frankfurt.de

 

Mär 7 2022
10:19

1,5 Million Euro für europäisches Forschungsgroßprojekt Remote-NMR – Koordination durch Goethe-Universität Frankfurt

„Tele-Forschung“: Fernsteuerungsprojekt soll Kernspin-Strukturanalysen erleichtern und Vernetzung der europäischen Forschung weiter vorantreiben

Ein Verbund von 26 Partnern der wichtigsten europäischen Forschungsinfrastrukturen für die Kernspinresonanzspektroskopie (NMR-Spektroskopie) wird in den kommenden Jahren standardisierte Verfahren entwickeln, mit denen sich NMR-Geräte auch aus der Ferne steuern und nutzen lassen. Die Projektleitung liegt bei Prof. Harald Schwalbe vom Biomolekularen Magnet-Resonanz-Zentrum der Goethe-Universität Frankfurt. Die Europäische Union fördert das Projekt Remote-NMR mit 1,5 Millionen Euro.

FRANKFURT. Die Kernspinresonanzspektroskopie ist eine der wichtigsten analytischen Methoden in den chemischen, physikalischen, biologischen und medizinischen Wissenschaften. Denn die Methode ermöglicht es, die räumliche Anordnung von Atomen in Molekülen zu bestimmen und so Struktur und Dynamik von Molekülen zu analysieren. Bedeutsame Beiträge hat die NMR-Spektroskopie zuletzt beispielsweise für die SARS-CoV-2-Impfstoffentwicklung und -Arzneimittelforschung im Rahmen des europäischen Netzwerks COVID19-NMR geleistet. Hierbei gilt das Biomolekulare Magnet-Resonanz-Zentrum (BMRZ) der Goethe-Universität als Leuchtturm der europäischen Forschung mit Großgeräten. Routinemäßig wird die NMR-Spektroskopie zudem beispielsweise in der Qualitätskontrolle bei der Herstellung von Chemikalien oder Biomolekülen verwandt.

NMR-Spektroskopie erfordert hochentwickelte und teure Geräte, die von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit unterschiedlichem Hintergrund betrieben werden, von serviceorientierten Experten für Routineuntersuchungen bis hin zu hochqualifizierten Forschern, die lokale wie externe Nutzer:innen bei spezialisierten Anwendungen unterstützen. Vor der Corona-Pandemie wurde die Mehrzahl der Messungen in Europa von Wissenschaftler:innen gemacht, die zu den NMR-Zentren reisten. Entsprechend stark ging als Folge von Reise- und Kontaktbeschränkungen die Nutzung der Anlagen durch externe Nutzer zurück.

Daher haben NMR-Wissenschaftler:innen bereits in den vergangenen zwei Jahren damit begonnen, NMR-Analyseverfahren per digitalem Fernzugriff zu entwickeln. Das neue Projekt Remote-NMR (R-NMR), das von Prof. Harald Schwalbe von der Goethe-Universität geleitet wird, wird jetzt Standards für einen NMR-Fernzugriff schaffen, der europäischen Forschern einen Zugang zu den Großgeräten ermöglicht. Die Nutzer sollen in die Lage versetzt werden, mit dem NMR-Instrument zu interagieren, die laufenden Experimente zu überwachen und bei Bedarf anzupassen und mit dem Personal, das vor Ort die Geräte betreut, zu kommunizieren. Dazu werden innerhalb R-NMR alle bedeutenden NMR-Infrastrukturen in Europa miteinander vernetzt. Routineprozesse für die Remote-Nutzung von NMR werden eingerichtet, was die Erstellung von Forschungs- und Lehrprotokollen sowie die Archivierung von Daten und den Probenversand einschließt.

Die Europäische Union fördert R-NMR in den kommenden drei Jahren mit insgesamt 1,5 Millionen Euro im Rahmen des Horizon Europe Framework Programme.

Prof. Harald Schwalbe ist überzeugt: „Im Netzwerk R-NMR machen wir uns fit für NMR@home. Die europaweite Standardisierung ist dabei ein riesiger Vorteil, denn so können wir die vorhandenen riesigen Potenziale, die diese wichtigen Forschungsinfrastrukturen bieten, optimal nutzen. Weil viele Kolleginnen und Kollegen viel weniger reisen müssen, lässt sich außerdem der CO2-Fußabdruck unserer Forschung deutlich verkleinern.“

Links:
Europäisches Netzwerk von NMR-Forschungsinfrastrukturen http://www.eurobionmr.eu/
Europäisches Netzwerk COVID19-NMR https://covid19-nmr.de/

Bilder zum Download:
https://www.uni-frankfurt.de/111177368

Bildtext: Prof. Dr. Harald Schwalbe, Goethe-Universität Frankfurt. Foto: Jürgen Lecher für Goethe-Universität

Weitere Informationen
Prof. Dr. Harald Schwalbe
Institut für organische Chemie und chemische Biologie
Biomolekulares Magnet-Resonanz-Zentrum (BMRZ)
Goethe-Universität Frankfurt
Tel +49 69 798-29137
schwalbe@nmr.uni-frankfurt.de


Redaktion: Dr. Markus Bernards, Referent für Wissenschaftskommunikation, Büro PR & Kommunikation, Telefon 069 798-12498, Fax 069 798-763-12531, bernards@em.uni-frankfurt.de

 

  • Allianz für die Stärkung der frühen, alltagsintegrierten Sprachförderung in Frankfurt und Hessen im Aufbau
  • Bedarf durch die Corona-Pandemie gestiegen

Frankfurt am Main, 7. März 2022. Das von der BHF BANK Stiftung initiierte Frankfurter Modellprojekt „Sprachentdecker“ zur alltagsintegrierten Sprachförderung in Kitas und Grundschulen wird von der Stadt Frankfurt am Main fortgeführt und ausgebaut. Mit finanzieller Unterstützung des Dezernats für Bildung, Immobilien und Neues Bauen, das dafür zunächst 50.000 Euro bereitstellt, sollen über die bestehenden Standorte hinaus mehr Frankfurter Kitas und Schulen das Qualifizierungs-Angebot für sich nutzen können.

„Die Pandemie war und ist für viele Kinder eine schwere Zeit, in der ein großer Nachholbedarf entstanden ist. Besonders Kinder, die bereits zuvor einen Förderbedarf hatten, benötigen verstärkt Aufmerksamkeit und gut geschulte Kräfte“, sagt Bildungsdezernentin Sylvia Weber. „Dafür brauchen wir mehr individuelle Förderung im Regelbetrieb.“ Hier setze „Sprachentdecker“ effizient an, so die Stadträtin: „Das Projekt ermöglicht die Qualifizierung und Vernetzung von Fachkräften, damit wir diese Kinder beim besonders wichtigen Übergang von der Kita in die Schule bestmöglich unterstützen können.“

Das Modellprojekt unter wissenschaftlicher Leitung der Goethe-Universität (Fachbereich Erziehungswissenschaften, Prof. Dr. Diemut Kucharz) konnte nachweisen, wie wirksame Deutschförderung im Alltag in Kita und Schule gelingt. Es wurde seit 2016 in enger Kooperation von Goethe-Universität, Stadt Frankfurt am Main (Amt für multikulturelle Angelegenheiten) und der BHF BANK Stiftung entwickelt. Bisher konnten etwa 100 Fach- und Lehrkräfte aus zwölf Kitas und sieben Grundschulen fortgebildet werden. 2019 wies eine Evaluation die Wirksamkeit des Angebots nach. Vor dem Hintergrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie insbesondere auf Kinder, die zu Hause wenig Deutsch sprechen, kommt dem Programm eine nochmal gestiegene Bedeutung zu, denn es vermittelt den Fach- und Lehrkräften Kenntnisse und Fertigkeiten, mit denen sie die Kinder effizient und wirksam fördern können.

„Im jetzt anstehenden Ausbau des Projekts Sprachentdecker möchten wir noch mehr Fach- und Lehrkräften als bisher das Instrumentarium vermitteln zu erkennen, was die Kinder schon gut beherrschen und wo Einzelne noch Defizite haben“, sagt Diemut Kucharz, Professorin für Grundschulpädagogik an der Goethe-Universität und wissenschaftliche Leiterin von „Sprachentdecker“. „Wir schärfen den Blick der Teilnehmerinnen und Teilnehmer und komplettieren ihr Repertoire – und das ohne zusätzliche Fördermaßnahmen für die Kinder, sondern integriert in deren Alltag. Die Evaluierung hat gezeigt: Dies ist ein sehr effizienter Ansatz, und die Kinder verbessern ihre Kompetenzen deutlich.“

Perspektivisch entwickelt sich „Sprachentdecker“ über Frankfurts Stadtgrenzen hinaus und soll mit Unterstützung des Hessischen Kultusministeriums an neuen Standorten in Hessen angeboten werden. Dazu ist eine Förderung im Rahmen der auch in Hessen präsenten Bundesinitiative BiSS (Bildung durch Sprache und Schrift) zugesagt, und das Kultusministerium wird das Programm „Sprachentdecker“ neben zwei weiteren Angeboten zur frühen Sprachbildung und -förderung offiziell empfehlen. In der Entwicklung ist zudem unter Federführung der BHF BANK Stiftung, die die Modellphase ermöglicht hat, und mit fachlicher Unterstützung des Amts für multikulturelle Angelegenheiten und Beratung durch die Goethe-Universität ein neues Pilotprojekt: Hier geht es um die Förderung der Bildungskooperation mit Eltern. Das neue Projekt soll eng angebunden an „Sprachentdecker“ aufgebaut werden.

„Wir freuen uns, dass das Projekt, das unsere Stiftung 2016 als Frankfurter Modellprojekt und als Beitrag für die Qualifizierung junger Menschen ins Leben gerufen hat, sich bewährt hat und nun weitergeführt wird“, sagt Werner Taiber, Vorsitzender des Vorstands der BHF BANK Stiftung. „Wir geben dem Thema weiterhin eine hohe Priorität. Daher möchten wir uns weiter in die Allianz für die frühe Sprachbildung einbringen und einen besonderen Akzent künftig auch auf die wichtige Rolle der Eltern legen.“


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Über das „Sprachentdecker“ – Programm:

„Sprachentdecker“ ist ein Qualifizierungsprogramm für Fachkräfte in Kitas und Lehrkräfte in Grundschulen, die gemeinsam über einen Zeitraum von einem Jahr geschult werden. Es zielt darauf, alle, die reguläre Bildungs- und Lernprozesse gestalten, für die alltagsintegrierte Sprachbildung und sprachförderliches Verhalten sowie für die Förderung von Mehrsprachigkeit zu qualifizieren. Das Programm setzt bewusst im Regelbetrieb an und nicht auf Extra-Maßnahmen. Es hat drei Säulen: die Weiterqualifizierung der Pädagog/-innen, den Übergang zwischen Kita und Schule und den Dialog mit den Eltern über die Bildungsprozesse ihrer Kinder. Die beteiligten Einrichtungen und Schulen sind ortsbezogen in so genannten Standorten zusammengeschlossen. Die ehemaligen Teilnehmer/-innen sind Teil eines Netzwerks, das sich, wenn möglich, jährlich trifft und an der regelmäßigen Anwendung des Gelernten und der Implementierung der neuen Methoden an den jeweiligen Standorten arbeitet und in fachlichem Austausch steht. Besonderes Alleinstellungsmerkmal von „Sprachentdecker“ sind die Einzelcoachings für die geschulten Kräfte, die dafür sorgen, dass das Gelernte auch Eingang in die gelebte Praxis findet und individuelle Fragen geklärt werden können. 

Pädagog/-innen, die am Projekt „Sprachentdecker“ teilgenommen haben, verfügen über Strategien, um Kinder beim Deutschlernen im Alltag produktiv zu unterstützen. Sie haben gelernt, wie sie zum Beispiel Mathematikaufgaben so besprechen können, dass die Kinder dabei auch sprachlich etwas lernen. Sie greifen etwa Sätze von Kindern auf, wiederholen sie und reichern sie dabei sprachlich an. Dadurch lernen die Kinder beiläufig richtige und variantenreiche Formulierungsmöglichkeiten im Deutschen. Seit Projektstart 2016 wurden im Rahmen von „Sprachentdecker“ aus zwölf Kitas und sieben Grundschulen etwa 100 Fach- und Lehrkräfte fortgebildet.

Insgesamt hat die BHF BANK Stiftung seit 2016 mehr als 200.000 Euro in das Projekt und die Evaluierung der Angebote investiert.

Die gemeinnützige BHF BANK Stiftung wurde Ende 1999 gegründet und zählt zu den mittelgroßen Stiftungen in Deutschland. Ihre Stifterin ist heute die deutsch-französische Bank ODDO BHF AG. Seit ihrer Gründung hat die Stiftung 18 Millionen Euro in Initiativen und Modellprojekte investiert.


Pressekontakte

Goethe-Universität Frankfurt
Prof. Dr. Diemut Kucharz
Institut für Pädagogik der Elementar- und Primarstufe (WE II)
Telefon +49 (0)69 798-36266|
E-Mail: kucharz@em.uni-frankfurt.de

BHF BANK Stiftung
Sigrid Scherer
Geschäftsführerin
Telefon +49 (0)69 718-3452
E-Mail: sigrid.scherer@oddo-bhf.com  

Dezernat für Bildung, Immobilien und Neues Bauen
Tanja Sadowski
Referentin
Telefon: +49 (0)69 212-38768
E-Mail: tanja.sadowski@stadt-frankfurt.de


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Hintergrundinformationen zur Entwicklung der Deutsch-Sprachkompetenzen bei Kindern und Jugendlichen in Frankfurt am Main

Die Ergebnisse des Frankfurter Integrations- und Diversitätsmonitorings sowie des Kindergesundheitsberichts des Frankfurter Gesundheitsamts verweisen darauf, dass in Frankfurt am Main die Zahl bzw. der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit Sprachauffälligkeiten und Förderbedarf in Deutsch tendenziell steigt (vgl. Stadt Frankfurt am Main – Amt für multikulturelle Angelegenheiten 2017: S.74–77; Stadt Frankfurt am Main – Gesundheitsamt 2017: S. 4, S. 47). Kinder mit Migrationshintergrund weisen generell, insbesondere aber in der Sprachentwicklung, häufiger Entwicklungsauffälligkeiten auf als Kinder ohne Migrationshintergrund (vgl. Stadt Frankfurt am Main – Amt für multikulturelle Angelegenheiten 2017: S.74; Stadt Frankfurt am Main – Gesundheitsamt 2017: S. 51). Die Ergebnisse stehen in Einklang mit einer steigenden Zahl von Kindern, die an einem durch das Land Hessen geförderten Vorlaufkurs zur Verbesserung der Deutschkenntnisse teilnehmen.

So nahmen im Schuljahr 2019/2020 – vor der Einführung des verpflichtenden Besuchs der Vorlaufkurse - mit 12.807 Kindern so viele Schüler/-innen wie noch nie zuvor an den Kursen teil. Dabei wird davon ausgegangen, dass etwa fünf Prozent der förderbedürftigen Kinder nicht erreicht wurden (vgl. Hessischer Landtag 2021: Drucksache 20/4190; http://starweb.hessen.de/cache/DRS/20/0/04190.pdf)

Ein starker Anstieg ist darüber hinaus bei der Zahl der Teilnehmenden an Intensivkursen und
-klassen (sogenannte „Seiteneinsteiger“) zu verzeichnen (vgl. Stadt Frankfurt am Main – Amt für multikulturelle Angelegenheiten 2017: S. 78 ff.). Diese Entwicklung steht auch in Zusammenhang mit einer verstärkten Zuwanderung nach Frankfurt am Main, einerseits aus dem europäischen Ausland im Zuge der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten in die Europäische Union, andererseits durch Fluchtzuwanderung.

Mehrsprachigkeit in Frankfurt am Main

In Frankfurt am Main leben Menschen aus über 170 Herkunftsländern, wobei die gesprochenen Sprachen diese Zahl deutlich übersteigen dürften (vgl. Stadt Frankfurt am Main – Amt für multikulturelle Angelegenheiten 2017: S. 39). Laut Mikrozensus liegt der Anteil der Familien, in denen mindestens ein Elternteil einen Migrationshintergrund aufweist, bei etwa 40 Prozent. Entsprechend Berechnungen aus dem Frankfurter Melderegister liegt bei etwa 25 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren ein einseitiger Migrationshintergrund und bei 75 Prozent ein beidseitiger familiärer Migrationshintergrund vor (vgl. Stadt Frankfurt am Main – Bürgeramt, Statistik und Wahlen 2013a: S.3). Ein Sonderfrageprogramm im Rahmen der Frankfurter Bürgerbefragung aus dem Jahr 2018 hatte zum Ergebnis, dass der Anteil der Personen, die im familiären Kontext in Deutsch und einer weiteren Sprache kommunizieren, bei mindestens 40 Prozent und bei Familien mit Kindern bei etwa 50 Prozent liegt. In vielen Frankfurter Familien und Haushalten gehört eine mehrsprachige Kommunikation somit zum Alltag.

Aufschluss über den Anteil der Kinder und Jugendlichen, die außer in Deutsch noch in einer weiteren Sprache in der Familie kommunizieren, erhält man anhand der Schulstatistik und der Statistik zur Kindertagesbetreuung. Rechnet man hier die Zahl der Kinder in der frühkindlichen Bildung bis unter elf Jahren und der Schüler/-innen in allgemeinbildenden Schulen zusammen, so kommt man zu einem Anteil von mindestens 50 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Frankfurt am Main, die mit Deutsch und weiteren Sprachen aufwachsen. Getrennt betrachtet sind es in Kindertagesstätten etwa 40 Prozent und in den allgemeinbildenden Schulen etwa 60 Prozent. Laut den Ergebnissen einer von der Goethe-Universität an Frankfurter Kindertagesstätten durchgeführten Studie zur „Sprachförderung in Kindertageseinrichtungen in Frankfurt am Main“ liegt der Anteil der mehrsprachigen Kinder in städtischen Kindertagesstätten bei etwa 71 Prozent. Eine ähnliche Situation zeigt sich bei den konfessionellen Einrichtungen; bei den übrigen „freien“ Kindertagesstätten liegt der Durchschnitt dagegen bei etwa 53 Prozent (vgl. Gold & Schulz 2014: S. 47). 


Redaktion: Dr. Anke Sauter, Referentin für Wissenschaftskommunikation, Abteilung PR & Kommunikation, Telefon 069 798-13066, Fax 069 798-763-12531, sauter@pvw.uni-frankfurt.de

 

Mär 3 2022
11:35

Kollegforschungsgruppe POLY bietet Stipendien für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die die Ukraine verlassen müssen

Kurzzeitförderung für ukrainische Historiker

Die geschichtswissenschaftliche Kollegforschungsgruppe POLY an der Goethe-Universität will einschlägig Forschenden aus der Ukraine mit einem Stipendium eine Perspektive geben.

FRANKFURT. Der russische Angriff auf die Ukraine bringt auch das Leben und die Arbeit vieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Gefahr. Um zumindest einigen von ihnen die Weiterführung ihrer Forschung außerhalb der Ukraine zu erleichtern, bietet die DFG-Kollegforschungsgruppe „Polyzentrik und Pluralität vormoderner Christentümer“ (POLY) fünf Stipendien an. Sie richten sich an Promovierte, die sich mit mittelalterlicher oder frühneuzeitlicher Geschichte befassen und hierbei insbesondere religiöse Vielfalt in den Blick nehmen.

„Wir von POLY wollen mit dieser Initiative Kolleginnen und Kollegen aus der Ukraine helfen, die vor dem Krieg fliehen müssen, und die Stimme der ukrainischen Wissenschaft stärken“, fasst Professorin Birgit Emich, Sprecherin von POLY und Initiatorin des Stipendienprogramms, die Motivation der Forschungsgruppe zusammen. Für Emich, die an der Goethe-Universität Geschichte der Frühen Neuzeit lehrt, sind damit auch Hoffnungen für die Frankfurter Forschung verbunden: „Mit Hilfe der Gastwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler könnten wir die Kooperationen in dieser Region weiter ausbauen, die für die Erforschung religiöser Vielfalt so fruchtbar ist“.

Die Stipendien sind mit 3000 Euro monatlich dotiert und zunächst auf vier Monate begrenzt. Während der Förderung sind die ukrainischen Gäste nicht nur in die Arbeit von POLY einbezogen. Sie profitieren auch von der sonstigen Forschungsinfrastruktur der Goethe-Universität wie dem Austausch mit dem thematisch benachbarten Forschungsverbund „Dynamiken des Religiösen“, dessen Sprecherschaft sich Emich mit dem Theologen und Judaisten Professor Christian Wiese teilt.

Die Bewerbung um ein Stipendium ist ab sofort möglich. Voraussetzungen sind eine abgeschlossene Promotion und die wissenschaftliche Beschäftigung mit religiöser Pluralität in Mittelalter oder Früher Neuzeit.

Weitere Informationen
Prof. Dr. Birgit Emich
Historisches Seminar
Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit
Goethe-Universität Frankfurt am Main
Tel.: +49 (0) 69 798-32594
E-Mail: emich@em.uni-frankfurt.de
https://www.geschichte.uni-frankfurt.de/92594738/Polycentricity_and_Plurality_of_Premodern_Christianities__POLY


Redaktion: Dr. Anke Sauter, Referentin für Wissenschaftskommunikation, Abteilung PR & Kommunikation, Telefon 069 798-13066, Fax 069 798-763-12531, sauter@pvw.uni-frankfurt.de

 

FRANKFURT. Nach technischer Runderneuerung des Gebäudes präsentiert das MGGU – Museum Giersch der Goethe-Universität zu seiner Wiedereröffnung eine umfassende Retrospektive der Frankfurter Fotografinnen Nini (1884–1943?) und Carry Hess (1889–1957). Ihre in Zeitungen, Illustrierten und Büchern, als Autogrammkarten oder als Sammelbilder in Reklamealben vielfach publizierten Fotos prägten die populäre Bildpublizistik der 1920er Jahre entscheidend mit – insbesondere ihre beeindruckenden Aufnahmen moderner Frauen.

Die Ausstellung ist vom 11. März bis 22. Mai 2022 zu sehen. Mit ca. 120 Originalfotografien von 27 Leihgebern – von öffentlicher und von privater Seite – rekonstruiert die Ausstellung erstmalig Leben und Werk der beiden Schwestern, deren Fotoatelier zu den renommiertesten Adressen seiner Art in der Weimarer Republik zählte, heute aber nahezu vergessen ist. „Mit dieser Ausstellung knüpfen wir an die Tradition unseres Museums an, indem wir erneut den Fokus auf bislang weniger beachtete Künstlerinnen und Künstler lenken. Das beeindruckende fotografische Werk von Nini und Carry Hess lohnt die Entdeckung“, so Birgit Sander, Direktorin des MGGU.

Das Atelier Hess, seit 1913 in bester Lage am Rathenauplatz ansässig, war zunächst spezialisiert auf Porträtfotografien. Im Laufe der 1920er Jahre zählten dann zahlreiche Prominente wie Max Beckmann, Alfred Döblin, Paul Hindemith, Thomas und Katia Mann oder Mary Wigman zur Kundschaft der Fotografinnen. Renommee weit über ihre Heimatstadt Frankfurt hinaus erlangten die beiden Frauen auch durch ihre Theater-, Architektur-, Mode- und Aktfotografien. Gut vernetzt, erfolgreich und selbständig verkörperten die beiden Fotografinnen selbst den Typus dieser unabhängigen und engagierten „Neuen Frau“ der Weimarer Republik. 

Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft wurden Nini und Carry Hess Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung. In der Reichspogromnacht 1938 zerstörten SA-Trupps ihr Atelier und vernichteten dessen gesamte Ausstattung und das Archiv. Nini Hess wurde in Auschwitz vermutlich 1943 ermordet. Ihre Schwester Carry, die nach Frankreich emigriert war, starb 1957 in Chur (Schweiz) nach einem entwürdigenden Kampf um finanzielle „Wiedergutmachung“, die ihr kurz zuvor gewährt worden war.

Zur Ausstellung

Die Ausstellung folgt einem thematisch strukturierten Rundgang. Sie beginnt mit einem chronologischen Einstieg und den frühen Jahren des Atelier Hess' nach dessen Gründung 1913. Alsbald feierten beide Fotografinnen Erfolge mit einem neuen, individuellen Porträtstil, der die Dargestellten psychologisch zu durchdringen vermochte und den sie fortan gekonnt weiterentwickelten. Die Entfaltung dieser Produktivität war eng mit der Einbindung beider Frauen in das pulsierende kulturelle Leben Frankfurts jener Zeit verbunden – schon bald entwickelte sich das Atelier Hess zu einer Art Salon, in dem sich Kulturschaffende versammelten und so den Radius der Kundschaft immer mehr erweiterten. Der Rundgang der Ausstellung setzt sich fort mit Räumen zur Porträt-, Theater-, Tanz- und Aktfotografie – gegliedert nach diesen Gattungen. Ein besonderer Akzent liegt dabei auf dem theaterfotografischen Schaffen, mit dem Nini und Carry Hess das innovative Bühnengeschehen in Frankfurt festhielten – ihre Theaterfotografien stellen ein kongeniales Pendant zum „Frankfurter Expressionismus“ im Theater dar.

Die Ausstellung setzt im Folgenden einen weiteren Akzent auf der vielfältigen medialen Weiterverbreitung der Fotografien von Nini und Carry Hess: Gezeigt werden Beispiele in Illustrierten, Zeitungen, Büchern, Reklamealben oder als Autogrammkarten. Diese bildpublizistische Arbeit stellte eine wichtige Einnahmequelle beider Fotografinnen dar, sie steigerte nochmals erheblich die Popularität und Bekanntheit des Ateliers. Mit dem Blick auf das persönliche Schicksal von Nini und Carry Hess, auf ihre Verfolgung und Vernichtung durch die Nationalsozialisten endet die Ausstellung. In diesem Kontext thematisiert sie auch den Umgang in der Nachkriegszeit mit der durch die Verbrechen der Nationalsozialisten bedingten Schuld und verweist auf Initiativen in der jüngeren Gegenwart zur Erinnerung an das Leben und Schaffen der Fotografinnen.

Ausstellung und Katalog basieren auf intensiven, langjährigen Recherchen und leisten einen bedeutenden Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte des Frankfurter Kulturlebens während der Weimarer Republik. Sie schließen ein wichtiges, bislang jedoch kaum beachtetes Kapitel der Kunst- und Kulturgeschichte. Zugleich bereichert diese erstmalige differenzierte Aufarbeitung und Präsentation des fotografischen Werks von Nini und Carry Hess auch die Geschichte der Fotografie. Als das Museum der Goethe-Universität sehen wir es zudem als unsere besondere Aufgabe an, dem Publikum zu vermitteln, wie grundlegend wichtig Forschung und Wissenschaft für unsere Erinnerungskultur sind. Zur Ausstellung werden vielfältige Bildungs- und Vermittlungsangebote in analoger und digitaler Form angeboten.

Kurator und Kuratorin der Ausstellung: Eckhardt Köhn und Susanne Wartenberg

Pressekonferenz: Donnerstag, 10. März 2022, 11 Uhr
Bitte um vorherige Anmeldung an
presse@mggu.de

•          Dr. Birgit Sander, Direktorin MGGU – Museum Giersch der Goethe-Universität

•          Prof. Dr. Eckhardt Köhn, Kurator der Ausstellung

•          Christine Karmann, Kommunikation und Marketing MGGU – Museum Giersch der Goethe-Universität

Bilder und Texte zum Download unter: https://www.mggu.de/presse/

Der Ausstellungskatalog (256 Seiten, ca. 180 Abb.) mit Beiträgen namhafter Autorinnen und Autoren ist im Hirmer Verlag erschienen. An der Museumskasse kostet er 29 €.

Museum Giersch der Goethe-Universität, Schaumainkai 83, 60596 Frankfurt am Main
Eintritt: Erwachsene 7,- € / Ermäßigt 5,- €. Personen unter 18 Jahren haben freien Eintritt.

Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr, Sa, So 10–18 Uhr, Do 10–21 Uhr
An Feiertagen 10–18 Uhr geöffnet: 15.4., 17.4., 18.4, 1.5

Informationen: Christine Karmann, Kommunikation und Marketing Museum Giersch der Goethe-Universität, Tel: 069/138210121, E-Mail: presse@mggu.de

Adresse: Museum Giersch der Goethe-Universität, Schaumainkai 83, 60596 Frankfurt am Main


Redaktion: Dr. Olaf Kaltenborn, Leiter PR & Kommunikation, Tel: 069 798-13035, Fax: 069 798-763 12531, kaltenborn@pvw.uni-frankfurt.de  

 

Feb 25 2022
10:41

Gemeinsame Veranstaltung des Hessischen Ministeriums für Soziales und Integration und des Instituts für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK) der Goethe-Universität

Equal Pay Day: Entgeltsysteme auf dem Prüfstein der Geschlechtergerechtigkeit

FRANKFURT. Der Equal Pay Day fällt in diesem Jahr auf den 7. März. Dies ist der Tag, an welchem rein statistisch die bundesweit berechnete Einkommenslücke von Frauen und Männern wieder geschlossen ist.  Ein Grund für diese Lücke beim Einkommen könnte darin liegen, dass die Entgeltsysteme nicht geschlechtergerecht sind. Das Hessische Ministerium für Soziales und Integration und das Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK) der Goethe-Universität informieren 

am Donnerstag, 3. März, von 10 bis 13 Uhr
bei einer virtuellen öffentlichen Veranstaltung zum Thema
„Entgeltgleichheit für Frauen und Männer in hessischen Betrieben.
Überprüfung der Geschlechtergerechtigkeit von Entgeltsystemen“

über Verfahren zur Überprüfung von Tarifverträgen und Entgeltsystemen in Betrieben und zeigen anhand von Beispielen Guter Praxis, welche Erfahrungen Betriebe mit diesen Verfahren machen.

Tarifverträge gelten als geschlechtsneutral. Jedoch zeigen sich auch in Branchen mit hoher Tarifbindung deutliche Entgeltlücken zuungunsten von Frauen. „Aufgrund der grundgesetzlich garantierten Tarifautonomie sind die Tarifvertragsparteien selbst aufgefordert, Tarifverträge auf den Prüfstand zu stellen. Denn auch sie sind nicht per se geschlechtergerecht “, sagt der hessische Sozialminister Kai Klose. „Dafür stellt die Wissenschaft fundierte Prüfverfahren zur Verfügung und gibt auch Anleitungen zur Anwendung an die Hand.“ Um diese Prüfverfahren geht es bei der gemeinsamen Veranstaltung von Hessischem Sozialministerium und Goethe-Universität zum Equal Pay Day 2022.

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, dieses Prinzip ist in den meisten Entgeltsystemen weitestgehend abgesichert. „Komplizierter wird es, wenn gleiche Entgelte für gleichwertige Tätigkeiten gezahlt werden sollen“, sagt Dr. Christa Larsen vom Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK) der Goethe-Universität. Gleichwertig sind Tätigkeiten, wenn nach den folgenden Kriterien eine Vergleichbarkeit vorliegt: 1. Wissen und Können, 2. psycho-soziale Kompetenzen, 3. Verantwortung und 4. physische Anforderungen. Nach diesen Kriterien können die sogenannten Männer- und Frauenberufe oft als gleichwertig eingestuft werden – zum Beispiel können die Tätigkeiten einer Erzieherin einerseits und eines Handwerkers andererseits als gleichwertig betrachtet werden. Ähnliches gelte für Bäckereifachverkäuferinnen und Bäcker, meint Dr. Andrea Jochmann-Döll, die sich seit vielen Jahren mit der Thematik beschäftigt und entsprechende wissenschaftlich fundierte Überprüfungsverfahren mitentwickelt und erprobt hat. Dr. Jochmann-Döll begleitet das Hessische Ministerium für Soziales und Integration und die Goethe-Universität fachlich in dieser Thematik.

Auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes fördert die Anwendung eines erprobten Überprüfungsverfahrens, das eg-check Verfahren, abrufbar unter eg-check.de. Bei der Umsetzung werden Betriebe und Sozialpartner auf vielfältige Weise unterstützt. Wie das Verfahren in der Praxis funktioniert, darüber berichten bei der Veranstaltung drei Betriebe aus so unterschiedlichen Branchen wie dem Bankengewerbe, der Telekommunikation und dem Gastgewerbe/Catering. Alle drei haben dieselbe Erfahrung gemacht: Die Überprüfung der Entgeltgerechtigkeit macht sie als Arbeitgeber attraktiv. Denn immer mehr Beschäftigte wollen bei einem Arbeitgeber tätig sein, bei dem es fair zugeht, auch in finanzieller Hinsicht. Dies kann die dringende Suche nach Fachkräften erleichtern und für Arbeitgeber von Vorteil sein.

Die Veranstaltung bildet den Schlusspunkt des Sozialpartnerdialogs zur Entgeltgleichheit in Hessen, den das Hessische Ministerium für Soziales und Integration bereits 2019 gestartet hat. Eingebunden sind die Sozialpartner der größten Branchen in Hessen. Sie haben sich in den vergangenen Monaten in mehreren Workshops mit der Thematik befasst. Mit einem Rückblick auf den bisherigen Dialog bringen sich die Sozialpartner auch bei dieser Veranstaltung ein und unterstreichen damit nochmals die Wichtigkeit des Themas auch für sie.

Das Programm kann unter https://www.iwak-frankfurt.de/wp-content/uploads/2022/02/Einladung-und-Programm_Entgeltgleichheit-fur-Frauen-und-Manner-in-hessischen-Betrieben_3_Marz-2022_10-bis-13-Uhr.pdf eingesehen werden. Anmeldungen sind dort ebenfalls noch möglich.

Weitere Informationen und Interviewanfragen:
Dr. Christa Larsen
Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK) der Goethe-Universität
Telefon 069 798-22152
E-Mail c.larsen@em.uni-frankfurt.de
www.iwak-frankfurt.de/projekt/hessischer-lohnatlas/

Hessisches Ministerium für Soziales und Integration
Pressereferat
Verantwortlich: Alice Engel
Telefon 0611 3219-34 08
E-Mail: presse@hsm.hessen.de  


Redaktion: Dr. Anke Sauter, Referentin für Wissenschaftskommunikation, Abteilung PR & Kommunikation, Telefon 069 798-13066, Fax 069 798-763-12531, sauter@pvw.uni-frankfurt.de  

 

Feb 25 2022
09:42

An der Goethe-Universität Frankfurt gezüchtete Kristalle mit Seltenerd-Atomen zeigen überraschende, schnell einstellbare magnetische Eigenschaften. 

Spintronik: Neuartige Kristalle für die Computerelektronik der Zukunft

Computerchips oder Speicherelemente sollen möglichst schnell und energiesparend funktionieren. Neuartige spintronische Bauelemente könnten hier mit hoher Geschwindigkeit und Effizienz punkten, da keine verlustbehafteten elektrischen Ströme fließen, sondern die Elektronen magnetisch aneinanderkoppeln – wie eine Reihe winziger magnetischer Nadeln, die sich gegenseitig fast reibungslos beeinflussen. Ein Wissenschaftsteam unter Beteiligung der Goethe-Universität Frankfurt und des Berliner Fritz-Haber-Instituts hat nun vielversprechende Eigenschaften bei Kristallen mit Seltenerd-Atomen gefunden, die auf dem langen Weg zur Anwendung als spintronische Bauelemente Hoffnung machen.

FRANKFURT. Heutige Computer sind zwar schon sehr schnell, aber sie verbrauchen auch große Mengen an Strom. Schon seit einigen Jahren macht eine neue Technologie von sich reden, die zwar noch in den Startlöchern steht, aber eines Tages die Computertechnik revolutionieren könnte – die Spintronik. Der Name ist ein Kunstwort aus „Spin“ und „Elektronik“, denn bei diesen Komponenten fließen keine Elektronen mehr durch die Computerchips, sondern nur noch der Spin der Elektronen dient als Informationsträger. Ein Forschungsteam unter Beteiligung der Goethe-Universität Frankfurt hat nun Materialien identifiziert, die überraschend positive Eigenschaften für die Spintronik aufweisen. Die Ergebnisse sind im Fachmagazin „Nature Materials“ publiziert.

„Man kann sich die Elektronenspins vorstellen wie winzige magnetische Nadeln, die an den Atomen eines Kristallgitters festgemacht sind und die miteinander kommunizieren“, sagt Cornelius Krellner, Professor für Experimentalphysik an der Goethe-Universität Frankfurt. Wie diese Magnetnadeln aufeinander reagieren, hängt entscheidend von den Eigenschaften des Materials ab. Bisher hat man in der Spintronik vor allem ferromagnetische Materialien untersucht, bei denen – ähnlich wie bei einem Eisenmagneten – die Magnetnadeln bevorzugt in eine Richtung zeigen. In den letzten Jahren sind aber sogenannte Antiferromagnete stärker in den Fokus gerückt, weil diese Materialien noch schnellere und effizientere Schaltbarkeit ermöglichen sollen als andere spintronische Materialien.

Bei Antiferromagneten orientieren sich die Magnetnadeln immer abwechselnd. Schubst man eine atomare Magnetnadel in eine Richtung, dreht sich die Nachbarnadel in die Gegenrichtung. Dies wiederum lässt den übernächsten Nachbarn wieder in die Richtung der ersten Nadel wandern. „Da diese Wechselwirkungen sehr schnell und fast ohne Reibungsverluste vonstattengehen, bietet sich hier ein großes Potenzial für ganz neuartige elektronische Komponenten“, erklärt Krellner.

Vor allem Kristalle mit Atomen aus der Reihe der seltenen Erden gelten als interessante Kandidaten für die Spintronik, da diese vergleichsweise schweren Atome starke magnetische Momente aufweisen – Chemiker nennen die zugehörigen Zustände der Elektronen 4f-Orbitale. Zu den Seltenerd-Metallen – die zum Teil gar nicht so selten und teuer sind – zählen Elemente wie Praseodym oder Neodym, die auch in der Magnettechnik zum Einsatz kommen. Insgesamt sieben Materialien mit unterschiedlichen Seltenerd-Atomen, von Praseodym bis Holmium, hat das Forschungsteam nun untersucht.

Das Problem bei der Entwicklung spintronischer Materialien liegt darin, dass man perfekt maßgeschneiderte Kristalle für solche Komponenten braucht, da sich kleinste Unstimmigkeiten sofort negativ auf die magnetische Gesamtordnung im Material auswirken. Hier kam die Frankfurter Expertise zum Einsatz. „Die seltenen Erden schmelzen bei rund 1000 Grad Celsius, das für den Kristall zusätzlich benötigte Rhodium aber erst bei rund 2000 Grad Celsius“, so Krellner. „Deshalb funktionieren herkömmliche Kristallisationsverfahren hier nicht.“

Stattdessen nutzten die Wissenschaftler heißes Indium als Lösungsmittel. Bei rund 1500 Grad Celsius lösen sich darin sowohl die seltenen Erden als auch das zusätzlich benötigte Rhodium und Silizium. Der Graphittiegel blieb dann rund eine Woche lang bei dieser Temperatur und wurde behutsam abgekühlt. Dadurch bildeten sich die gewünschten Kristalle in Form dünner Plättchen von zwei bis drei Millimetern Kantenlänge. Diese untersuchte das Team anschließend mit Hilfe von Röntgenstrahlung am Berliner Synchrotron BESSY II sowie an der Swiss Light Source des Schweizer Paul Scherrer Instituts.

„Die wichtigste Erkenntnis ist, dass in den von uns gezüchteten Kristallen die Seltenerd-Atome sehr schnell miteinander magnetisch reagieren und dass sich die Stärke dieser Reaktion durch Wahl der Atome gezielt einstellen lässt“, sagt Krellner. Das eröffnet den Weg zu weiteren Optimierungen – schließlich ist die Spintronik noch reine Grundlagenforschung und Jahre von kommerziellen Komponenten entfernt.

Auf dem Weg zur Marktreife sind allerdings noch etliche Probleme zu lösen. So liefern die in gleißender Hitze erzeugten Kristalle nur bei Temperaturen von unter minus 170 Grad Celsius überzeugende magnetische Leistungen. „Wir vermuten, dass sich die Betriebstemperaturen durch Hinzufügen von Eisenatomen oder ähnlichen Elementen deutlich nach oben verschieben lässt“, so Krellner. „Aber es bleibt zu sehen, ob dann auch die magnetischen Eigenschaften noch genauso positiv sind.“ Dank der neuen Ergebnisse haben die Forscher aber nun eine bessere Vorstellung davon, an welchen Stellschrauben sich zu drehen lohnt.

Publikation: Y. W. Windsor, S.-E. Lee, D. Zahn, V. Borisov, D. Thonig, K. Kliemt, A. Ernst, C. Schüßler-Langeheine, N. Pontius, U. Staub, C. Krellner, D. V. Vyalikh, O. Eriksson, L. Rettig: Exchange scaling of ultrafast angular momentum transfer in 4f antiferromagnets. Nature Materials (2022)
https://www.nature.com/articles/s41563-022-01206-4

Weitere Informationen
Prof. Dr. Cornelius Krellner
Kristall- und Materialienlabor
Physikalisches Institut
Tel: +49 (0)69 798-47295
krellner@physik.uni-frankfurt.de


Redaktion: Dr. Markus Bernards, Referent für Wissenschaftskommunikation, Büro PR & Kommunikation, Telefon 069 798-12498, Fax 069 798-763-12531, bernards@em.uni-frankfurt.de  

 

Feb 24 2022
12:13

Online-Veranstaltung der Goethe-Universität greift aktuelle gesellschaftliche Debatte auf

Gefährdet „Cancel Culture“ die Wissenschaftsfreiheit?

FRANKFURT. Forschung und Lehre sind frei. So steht es im Grundgesetz, unmissverständlich und uneingeschränkt. Bei ihrer Suche nach Erkenntnis sollen Wissenschaftler geschützt sein vor Zugriffen von Staat und Kirche, vor wirtschaftlichen Interessen, populistischen Ansprüchen und Angriffen von Wissenschaftsskeptikern. In jüngster Zeit schlagen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aber aus einem ganz anderen Grund Alarm aus Sorge um die Wissenschaftsfreiheit: das politische Schlagwort heißt Cancel Culture. Es bezeichnet die Tendenz, Personen oder Organisationen wegen Aussagen, die als diskriminierend wahrgenommen werden, von wissenschaftlicher Diskussion und Teilhabe auszuschließen.

Und tatsächlich mehren sich – insbesondere im amerikanischen und angelsächsischen Raum – Berichte etwa über Demonstranten, die eine Vorlesung verhindern wollen, und über Professorinnen und Professoren, die des Rassismus bezichtigt werden und danach ihren Posten räumen (müssen). Diejenigen, die sich mit den kritischen Themen beschäftigen, beklagen, dass sie Ächtung und Anfeindung durch gesellschaftliche Gruppen erfahren und aus der wissenschaftlichen Diskussion ausgegrenzt werden. Eng verknüpft ist die Diskussion mit dem Begriff der Identitätspolitik, der in den öffentlichen Debatten zunehmend an Bedeutung gewinnt. Einerseits wird Identitätspolitik als wichtiges Mittel angesehen, gleiche gesellschaftliche Teilhabe für alle Gruppen herzustellen. Andererseits scheint von ihr eine polarisierende Wirkung auszugehen, da sie sich auf die Bedürfnisse und Befindlichkeiten benachteiligter Minderheiten konzentriert und andere nicht zur Debatte zulässt.

Werden Forschung und Lehre vor diesem Hintergrund tatsächlich immer mehr eingeschränkt? Oder hat sich nur die Debattenkultur verändert? Wo verlaufen zentrale Konfliktlinien?

Die Online-Veranstaltung der Goethe-Universität „Gefährdet Cancel Culture die Wissenschaftsfreiheit?“

am Dienstag, den 1.März 2022, 18:00 – 19:45 Uhr
Zoom:
https://tinyurl.com/Wissenschaftsfreiheit

will diskutieren, ob es im Spannungsfeld von Cancel Culture zu einer Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit kommt. Die Veranstaltung wird von den professoralen Gruppen Ratio und Universitas durchgeführt.

Diskussionsgrundlage sind die folgenden Einführungsvorträge:

Prof. Udo Schüklenk
Professor für Bioethik und angewandte Ethik, Queen's University, Ontario/Canada
„Cancel Culture und Wissenschaftsfreiheit im angloamerikanischen Raum“

Prof. Andrea Geier
Professorin für Germanistik, Universität Trier
„Ist die Wissenschaftsfreiheit gefährdet?“

Prof. Susanne Schröter
Direktorin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam (FFGI), Goethe-Universität
„Cancel Culture schränkt schon jetzt die Freiheit an deutschen Universitäten ein“

Moderiert wird die Veranstaltung von Dr. Olaf Kaltenborn, Leiter der Abteilung PR und Kommunikation an der Goethe-Universität.

Weitere Informationen
Prof. Dr. Ralf Brandes
Institut für Kardiovaskuläre Physiologie
Fachbereich Medizin
brandes@vrc.uni-frankfurt.de
Tel. 069/6301-6995


Redaktion: Pia Barth, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit, Büro PR & Kommunikation, Telefon 069 798-13066, Fax 069 798-763-12481, p.barth@em.uni-frankfurt.de  

 

Feb 22 2022
11:51

Erste Ergebnisse der dritten bundesweiten Studie „JuCo“ liegen vor

Mehr Sorgen, dennoch gestalten junge Menschen ihre Jugend in der Pandemie

Gemeinsame Pressemitteilung von Goethe-Universität Frankfurt und Universität Hildesheim

Immer noch haben viele Jugendliche Angst vor ihrer Zukunft. Und trotzdem gestalten junge Menschen ihre Jugend in der Pandemie. Dies zeigt die dritte Befragung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Corona-Zeit (JuCo III). Mehr als 6.000 junge Menschen hatten sich an der Online-Befragung der Frankfurter Goethe-Universität und der Universität Hildesheim beteiligt. Mit Blick auf die Ergebnisse der JuCo-Studien erscheint es wichtig, die Erfahrungen und Leistungen der jungen Menschen während der Pandemie nicht zu übergehen, sondern anzuerkennen.

FRANKFURT/HILDESHEIM. Während die Jugendlichen sich zu Beginn der Pandemie vor allem auf ihre Rolle als Schüler:innen reduziert und in ihren Lebensumständen von der Politik kaum wahrgenommen fühlten, zeigen sich in der Studie JuCo III tendenzielle Veränderungen: Die dritte, aktuelle Online-Befragung von Jugendlichen vom Dezember 2021 ergibt, dass sich einige Jugendliche inzwischen politisch mehr gehört fühlen; allerdings hat die Mehrheit nach wie vor den Eindruck, dass sie politische Entscheidungen nicht beeinflussen kann.

Positiv vermerken einige Jugendliche auch, dass ihre Schulen nun digital besser ausgestattet seien. Auch der Anteil von Jugendlichen, die wieder ihren Hobbies nachgehen können, hat sich erhöht. Hier wird deutlich, wie wichtig die außerschulischen Aktivitäten für junge Menschen sind: Die Ergebnisse der JuCo III unterstreichen, dass diejenigen, die Hobbies weiterhin nachgehen können, weniger häufig von psycho-sozialen Belastungen berichten als diejenigen, welche deutliche Einschränkungen in ihrem Sozialleben erfahren.

Insgesamt zeigt die Studie allerdings auch, dass die lange Dauer der Pandemie bei den jungen Menschen deutliche Spuren hinterlassen hat: Noch immer erfahren viele von ihnen starke Einschränkungen in Bildung und Freizeit. Das Lernen zu Hause für Schule und Hochschule fällt vielen schwer. Der Anteil der jungen Menschen, der Angst vor der Zukunft hat, hat sich im Laufe des Jahres 2021 sogar noch einmal erhöht. Die Belastungen sind sehr ausgeprägt: Mehr als jede:r Fünfte gibt an, professionelle Hilfe- und Beratungsangebote zu brauchen, jedoch nicht über ein entsprechendes Angebot zu verfügen.

Ein weiterer Befund lässt besonders aufhorchen, so das Forschungsteam: Der Anteil junger Menschen, deren finanzielle Sorgen seit der Pandemie größer geworden sind, ist gewachsen. Wie gut Jugendliche durch diese nunmehr zweijährige Phase kommen, hängt signifikant von den finanziellen Mitteln ab, wie die Auswertungen der Daten aus JuCo III zeigen. Dies haben bereits die ersten Studien, JuCo I und II, deutlich gemacht.

An den mehr als 1.400 Freitextantworten und Kommentaren zeigt sich einmal mehr der hohe Mitteilungsbedarf der jungen Menschen. Tanja Rusack, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Hildesheim, verdeutlicht: „Junge Menschen bemühen sich auch in dieser schwierigen Zeit, ihre Gestaltungsmöglichkeiten zu nutzen.“ Weiterhin verdeutlicht Johanna Wilmes von der Goethe-Universität: „Das können sie aber nur, wenn sie sozial und ökonomisch abgesichert sind. Junge Menschen mit eigenen finanziellen Sorgen wurden bisher kaum in den Blick genommen. Wir sehen, dass es für einen sehr großen Teil unter den Befragten so gravierende psycho-soziale oder andere gesundheitliche Belastungen gibt, dass sie professionelle Hilfe benötigen, die Hilfeinfrastrukturen diesen Bedarf aber gar nicht ausreichend decken können.“

Der Forschungsverbund sieht darin wichtige Anforderungen im Bereich Bildung, Gesundheit und Freizeit, die die Politik immer noch nicht zufriedenstellend gelöst hat. Junge Menschen zeigen sehr deutlich ihre Mitgestaltungsbereitschaft und Anpassungsfähigkeit, nur müssen sich die Rahmenbedingungen für ein Jugendleben in und nach der Pandemie dafür deutlich verbessern. Weitere Veröffentlichungen zu vertieften Analysen, die auch partizipativ im Rahmen von Jugendworkshops erfolgen sollen, folgen im Laufe des Jahres 2022.

An der Studie, in der mit einem Schneeballverfahren eine Zufallsstichprobe erzielt wurde, haben knapp 6.200 junge Menschen teilgenommen, davon sind 70 Prozent weiblich. Knapp ein Drittel der Befragten ging zur Schule, ein Viertel absolvierte ein Studium, fast 12 Prozent sind erwerbstätig, knapp acht Prozent in der Ausbildung, und rund 20 Prozent befand sich in einem Freiwilligen Sozialen Jahr. 

Der Forschungsverbund „Kindheit – Jugend – Familie in der Corona-Zeit“ setzt sich zusammen aus dem Institut für Sozial- und Organisationspädagogik an der Stiftung Universität Hildesheim und dem Institut für Sozialpädagogik und Erwachsenenbildung an der Goethe-Universität. Entstanden sind darin bisher die bundesweiten Studien JuCo I, II undIII zu den Erfahrungen und Perspektiven von jungen Menschen während der Corona-Maßnahmen sowie die bundesweite Studie KiCo zu den Erfahrungen und Perspektiven von Eltern und ihren Kindern während der Corona-Maßnahmen. Aktuell gehören zum Team Sabine Andresen und Johanna Wilmes von der Goethe-Universität sowie Anna Lips, Tanja Rusack, Wolfgang Schröer und Severine Thomas von der Universität Hildesheim.

Die Studie ist einsehbar unter: https://dx.doi.org/10.18442/205 

Weitere Informationen
Prof. Dr. Sabine Andresen
Institut für Sozialpädagogik und Erwachsenenbildung
Goethe-Universität Frankfurt am Main
E-Mail:  S.Andresen@em.uni-frankfurt.de

Universität Hildesheim
Institut für Sozial- und Organisationspädagogik
Dr. Tanja Rusack
rusack@uni-hildesheim.de
Dr. Severine Thomas
severine.thomas@uni-hildesheim.de


Redaktion: Pia Barth, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit, Abteilung PR & Kommunikation, Telefon 069 798-12481, Fax 069 798-763-12531, p.barth@em.uni-frankfurt.de  

 

Feb 21 2022
17:01

Wichtiger Schritt zum Filmen chemischer Reaktionen

Molekül-Schnappschuss durch Explosion

Am Röntgenlaser European XFEL hat jetzt ein internationales Wissenschaftsteam erstmals einen Schnappschuss eines ringförmigen Moleküls mit einer neuartigen Messmethode gemacht. Forscherinnen und Forscher vom European XFEL, DESY, der Universität Hamburg und der Goethe-Universität Frankfurt nutzten zusammen mit weiteren Partnern den weltgrößten Röntgenlaser dazu, das Molekül Iodpyridin zu zerschlagen, um aus den entstandenen Bruchstücken das Bild des intakten Moleküls zusammenzusetzen (Nature Physics, DOI 10.1038/s41567-022-01507-0).

SCHENEFELD/FRANKFURT. Das Fotomotiv zur Explosion bringen, um ein Bild davon zu machen? Diese „rabiate“ Methode hat ein internationales Forschungsteam am weltgrößten Röntgenlaser European XFEL zum Ablichten größerer Moleküle benutzt. Mit Hilfe ultraheller Röntgenblitze konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Bilder des Moleküls Iodpyridin in der Gasphase mit atomarer Auflösung aufnehmen. Bei dem Verfahren werden die Moleküle durch den Röntgenlaser zur Explosion gebracht, und aus den Trümmern wird das Bild rekonstruiert. „Dank der extrem intensiven und besonders kurzen Röntgenpulse des European XFEL konnten wir ein für diese Methode und Molekülgröße beispiellos klares Bild erzeugen“, berichtet Rebecca Boll von European XFEL, Initiatorin des Experiments und eine der beiden Erstautorinnen der Veröffentlichung, in der das Team seine Ergebnisse im Fachblatt „Nature Physics“ beschreibt. Solche deutlichen Abbildungen von größeren Molekülen waren mit der verwendeten Technik bislang nicht möglich.

Die Aufnahmen sind ein wichtiger Schritt hin zu Molekül-Filmen, mit denen Forschende in Zukunft mit hoher Auflösung Details von biochemischen, chemischen und physikalischen Reaktionen beobachten möchten. Von solchen Filmen werden neue Anstöße für Entwicklungen in verschiedenen Forschungsgebieten erwartet. „Die von uns verwendete Methode ist insbesondere zur Untersuchung photochemischer Prozesse interessant“, erklärt Till Jahnke, European XFEL und Goethe-Universität Frankfurt, der ebenfalls zum Kernteam der Untersuchung zählt.

Solche Vorgänge, bei denen chemische Reaktionen durch Licht ausgelöst werden, sind sowohl im Labor als auch in der Natur von großer Bedeutung, beispielsweise bei der Photosynthese oder beim Sehprozess im Auge. „Die Entwicklung solcher Filme ist zunächst Grundlagenforschung, aber die damit gewonnenen Erkenntnisse könnten in der Zukunft dazu beitragen, solche Prozesse besser zu verstehen und neue Ideen für die Medizin, nachhaltige Energiegewinnung oder Materialforschung zu entwickeln“, hofft Jahnke.

Bei der als Coulomb Explosion Imaging bezeichneten Methode schlägt ein hochintensiver und ultrakurzer Röntgenlaserpuls aus den Atomen des Moleküls zahlreiche Elektronen heraus. Zurück bleiben elektrisch positiv geladene Atome, die sich gegenseitig abstoßen. Durch die starke elektrostatische Abstoßung explodiert das Molekül innerhalb von wenigen Femtosekunden – das sind Millionstel einer Milliardstel Sekunde. Die einzelnen Atome fliegen auseinander und werden von einem Detektor registriert.

Die Technik soll Momentaufnahmen sehr schneller Prozesse ermöglichen. „Bislang war diese Methode allerdings begrenzt auf kleine Moleküle, die aus nicht mehr als fünf Atomen bestehen“, erläutert Julia Schäfer vom Center for Free-Electron Laser Science (CFEL) bei DESY, die andere Erstautorin der Studie. „Mit unserer Arbeit haben wir diese Grenze beim Coulomb Explosion Imaging durchbrochen.“ Iodpyridin (C5H4IN) ist ein Molekül aus elf Atomen.

Aufnahmestudio für die explosiven Molekülbilder ist die Experimentierstation SQS (Small Quantum Systems) am European XFEL. Hier lenken elektrische Felder in einem speziell für solche Untersuchungen entwickelten COLTRIMS-Reaktionsmikroskop die Molekültrümmer auf einen Detektor. Das an der Goethe-Universität entwickelte Reaktionsmikroskop misst Einschlagort und Einschlagszeitpunkt der Bruchstücke auf dem Detektor und rekonstruiert daraus ihren Impuls – das Produkt aus Masse und Geschwindigkeit, sozusagen die „Wucht“, mit der sie auf den Detektor treffen. „Aus dieser Information lassen sich Details über das Molekül gewinnen und mit Hilfe von Modellen der Ablauf von Reaktionen und Vorgängen rekonstruieren“, sagt DESY-Forscher Robin Santra, der den theoretischen Teil der Arbeit geleitet hat.

Das Coulombexplosion Imaging eignet sich insbesondere auch dazu, sehr leichte Atome wie Wasserstoff in chemischen Reaktionen genau zu verfolgen. Die Technik ermöglicht detaillierte Untersuchungen einzelner Moleküle speziell in der Gasphase und ist damit eine weitere Methode zur Herstellung von Molekülfilmen, wie sie am European XFEL auch an anderen Experimentierstationen entwickelt werden, beispielsweise an Flüssigkeiten.

„Wir wollen fundamentale photochemische Prozesse im Detail verstehen. In der Gasphase gibt es keine Störungen durch andere Moleküle oder die Umgebung. Wir können daher mit unserer Technik einzelne, isolierte Moleküle untersuchen“, sagt Jahnke. Und Boll ergänzt: „Wir arbeiten bereits daran, im nächsten Schritt Reaktionsabläufe zu untersuchen und die Einzelbilder zu einem echten Molekülfilm zusammenzufügen. Die ersten Versuche dazu haben wir bereits unternommen.“

An der Arbeit waren Forscherinnen und Forscher der Universität Hamburg, der Goethe-Universität Frankfurt, der Universität Kassel, der Jiao-Tong-Universität in Shanghai, der Kansas State University, der Max-Planck-Institute für medizinische Forschung und für Kernphysik, des Fritz-Haber-Instituts der Max-Planck-Gesellschaft, des US-Beschleunigerzentrums SLAC, des Hamburger Exzellenzclusters CUI: Advanced Imaging of Matter, des Center for Free-Electron Laser Science bei DESY, von DESY und von European XFEL beteiligt.

Publikation: Rebecca Boll, Julia M. Schäfer. et. al.: X-ray multiphoton-induced Coulomb explosion images complex single molecules. Nature Physics, 2022, https://www.nature.com/articles/s41567-022-01507-0

Bilder zum Download: https://media.xfel.eu/XFELmediabank/?language=de#l=de&cid=26753&cname=Coulomb-Explosion%20(20.01.2022)&f=&s=&p=&r=

Bildtexte:
Modell des Moleküls Iodpyridin (molecule_A.jpg):
Der Ring wird von Kohlenstoffatomen (grau) und einem Stickstoffatom (blau) gebildet. Das Jodatom (violett) sitzt außen am Ring. Bild: European XFEL / Rebecca Boll, Till Jahnke

Coulomb-Explosion-Imaging-Aufnahme von Wasserstoffatomen (protons_B.jpg):
In der Coulomb-Explosion-Imaging-Aufnahme haben sich die Wissenschaftler auf die Wasserstoffatome (violett) konzentriert. Obwohl auch hier der Impuls dargestellt ist, ist die Form des Rings besser zu erkennen, weil die Wasserstoffatome als erstes den Molekülverband verlassen und dies als eine Reaktion auf das Aufladen der Ringatome (C und N) geschieht. Das schwerere Stickstoffatom wird später im Prozess emittiert, wenn das Molekül schon stärker aufgeladen ist. Durch die größere Abstoßung hat es daher einen größeren Impuls als die Wasserstoffatome. Bild: European XFEL / Rebecca Boll, Till Jahnke

Coulomb Explosion Imaging Aufnahme von Kohlenstoff- und Stickstoffatomen (Carbons_C.jpg):
Die Coulomb Explosion Imaging Aufnahme des Moleküls zeigt detailgenau die Kohlenstoffatome (rot) und das Stickstoffatom (grün). Der Ring erscheint verzerrt, weil der Detektor kein direktes Abbild, sondern den Impuls der Bruchstücke der Explosion registriert, also das Produkt aus Masse und Geschwindigkeit. Das Jodatom ist nicht dargestellt, da es die waagerechte Achse des Koordinatensystems festlegt. Bild: European XFEL / Rebecca Boll, Till Jahnke

Weitere Informationen
Prof. Dr. Till Jahnke
European XFEL und
Institut für Kernphysik, Goethe-Universität Frankfurt
Tel.: + 49 (0)69-798 47023 (Sekretariat)
till.jahnke@xfel.eu

Dr. Rebecca Boll
European XFEL
Tel: +49 (0)40 8998 6244
Tel. +49 (0)40 8994 1905
rebecca.boll@xfel.de


Redaktion: Dr. Markus Bernards, Referent für Wissenschaftskommunikation, Büro PR & Kommunikation, Telefon 069 798-12498, Fax 069 798-763-12531, bernards@em.uni-frankfurt.de

 

Feb 17 2022
10:20

Schreibzentrum der Goethe-Universität lädt zur zweiten digitalen Langen Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten

Schluss mit dem Vertagen

FRANKFURT. „Sei stärker als deine stärkste Ausrede!“ – unter diesem Motto lädt das Schreibzentrum der Goethe-Universität

am Donnerstag, 3. März, von 18:30 bis 24 Uhr,
auf der Online-Plattform Zoom

zum zwölften Mal zur „Langen Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten“ (LNDAH). Nachdem die virtuelle LNDAH im vorigen Jahr ein voller Erfolg war und die Pandemie noch immer anhält, wird die Veranstaltung auch dieses Jahr im digitalen Raum stattfinden.

Das ursprünglich vom Schreibzentrum der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder ins Leben gerufene Event hat weltweit einen festen Platz im akademischen Kalender: den ersten Donnerstag im März. Normalerweise können die Frankfurter Studierenden ihre wissenschaftlichen Texte im Kreis von Kommilitoninnen und Kommilitonen im Bibliothekszentrum Geisteswissenschaften (BZG) verfassen. Aufgrund der fortdauernden Pandemie wird die LNDAH jedoch auch in diesem Jahr wieder digital stattfinden. Aber auch im digitalen Raum können ein gutes Gemeinschaftsgefühl und eine produktive Arbeitsatmosphäre entstehen, wie das Feedback einer Teilnehmerin aus dem vorigen Jahr zeigt: „Mir hat besonders gut gefallen, dass es online fast besser als analog funktioniert und trotz Pandemie ein Gefühl von Zusammensein aufkommt.“ Die LNDAH, die neben ihren schreibdidaktischen Angeboten vor allem Möglichkeiten zum Austausch bietet, wirkt dem Gefühl der Isolation entgegen und motiviert die Schreibenden zum Anfangen, Weiterschreiben oder Abschließen ihrer Arbeiten. „Gerade in Zeiten der digitalen Lehre ist es besonders wichtig, Raum für einen gemeinsamen Austausch zu schaffen“, so Flora Schilling, Tutorin am Schreibzentrum. Mit den Worten einer Teilnehmerin von 2021: „Schreiben mit anderen macht zuversichtlicher.“

Angeboten werden Workshops rund um das Lesen und Schreiben wissenschaftlicher Texte, von der Themenfindung bis hin zur Überarbeitung und zur professionellen Nutzung von Textverarbeitungsprogrammen. Die LNDAH kooperiert in diesem Jahr mit dem Schreibzentrum am Riedberg, dem BZG, der Psychosozialberatung des Studentenwerks, dem Zentrum für Schlüsselkompetenzen und dem Methodenzentrum Sozialwissenschaften. Für fachnahe individuelle Beratung und Textfeedback stehen Studierenden der Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften durchgängig schreibdidaktisch ausgebildete Peer-Tutorinnen und -Tutoren des Schreibzentrums zur Seite. Teilnehmende, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, werden vom Internationalen Studien- und Sprachenzentrum (ISZ) unterstützt. Das Zentrum für Hochschulsport stärkt mittels Schreibtisch-Yoga-Einheiten die Durchhaltekraft vor dem Bildschirm, und auch für informellen Austausch wird mit kleinen Spielemöglichkeiten virtueller Raum geschaffen. Das Programm bietet Hilfe und Anregung für Studierende in allen Phasen des Studiums bis hin zur Doktorarbeit.

Das 2009 gegründete Schreibzentrum ist Teil des Zentrums Geisteswissenschaften an der Goethe-Universität. Seit 2016 besteht mit dem Schreibzentrum am Riedberg eine Dependance speziell für das Schreiben in den Naturwissenschaften. Mit Workshops, Beratung und Selbstlern-Materialien werden Studierende aller Fächer und Fachsemester, aber auch Doktoranden und Doktorandinnen und Lehrende beim Aufbau bzw. der Vermittlung von Schreib- und Lesekompetenz unterstützt. Mit jährlich rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ist die LNDAH eines der Highlights im Jahresprogramm.

Die Medien sind herzlich eingeladen, nach Voranmeldung über die „Lange Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten“ zu berichten.

Information:
Dr. Nora Hoffmann
Leitung Schreibzentrum Goethe-Universität Frankfurt
n.hoffmann@em.uni-frankfurt.de
https://tinygu.de/langenacht


Redaktion: Dr. Anke Sauter, Referentin für Wissenschaftskommunikation, Abteilung PR & Kommunikation, Telefon 069 798-13066, Fax 069 798-763-12531, sauter@pvw.uni-frankfurt.de  

 

Feb 15 2022
10:20

Forscher:innen der Goethe-Universität untersuchen die Hörwahrnehmung von Fledermäusen

Wie das Gehirn Geräusche filtert

Ob Fledermäuse per Echoortung auf Futtersuche gehen oder mit ihren Artgenossen kommunizieren: Geräusche sind allgegenwärtig. Wie die südamerikanischen Brillenblattnasen wichtige Signale aus der Klangfülle herausfiltert, untersuchen Forschende am Institut für Zellbiologie und Neurowissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt. Die jüngste Erkenntnis: Bereits das Stammhirn, das bislang allein für Basisaufgaben zuständig galt, verarbeitet Wahrscheinlichkeiten von Hörsignalen.

FRANKFURT. Fledermäuse sind berühmt für ihre Echo-Navigation: Sie orientieren sich über ihr äußerst empfindliches Gehör, indem sie Ultraschall-Laute ausstoßen und anhand der Schall-Reflexionen ein Bild ihrer Umwelt erhalten. So findet beispielsweise die Brillenblattnasen-Fledermaus (Carollia perspicillata) die von ihr als Nahrung bevorzugten Früchte über dieses Echo-Ortungssystem. Gleichzeitig nutzen die Fledermäuse ihre Stimme auch zur Kommunikation mit den Artgenossen, wobei sie einen etwas tieferen Frequenzbereich wählen. Die Brillenblattnase verfügt dabei über eine stimmliche Bandbreite, die sich sonst nur noch bei Singvögeln und Menschen findet. Wie der Mensch erzeugt sie ihre Laute durch den Kehlkopf.

Um herauszufinden, wie die Brillenblattnase besonders wichtige Signale aus der Klangfülle herausfiltern, zum Beispiel Warnrufe von Artgenossen, Isolationsrufe von Fledermausbabys oder auch die Reflexionen von Pfefferschoten im Gewirr von Blättern und Ästen, haben Forscherinnen und Forscher der Goethe-Universität Frankfurt die Hirnströme der Fledermäuse aufgezeichnet.

Dazu schoben die Forschenden um Prof. Manfred Kössl vom Institut für Zellbiologie und Neurowissenschaften den Fledermäusen Elektroden -  haarfein wie Akupunkturnadeln - unter die Kopfhaut, während die Fledermäuse im Narkoseschlaf schlummerten. Denn diese Messmethode ist so empfindlich, dass schon kleinste Kopfbewegungen der Fledermaus die Messergebnisse stören würden. Trotz des Narkoseschlafs reagiert das Fledermausgehirn auf Geräusche.

Dann wurden den Fledermäusen Abfolgen zweier Töne unterschiedlicher Tonhöhen vorgespielt, wie sie entweder Echoortungsrufen oder Kommunikationsrufen entsprechen. Zunächst wurde eine Sequenz abgespielt, in der Ton 1 sehr viel häufiger als Ton 2 vorkommt, zum Beispiel „1-1-1-1-2-1-1-1-2-1-1-1-1-1-1...“. In der nächsten Sequenz war es umgekehrt, und Ton 1 kam selten und Ton 2 häufig vor. Dadurch wollten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler feststellen, ob die neuronale Verarbeitung eines gegebenen Tons von seiner Auftrittswahrscheinlichkeit abhängt und nicht etwa von seiner Tonhöhe.

Doktorand Johannes Wetekam, Erstautor der Studie, erklärt: „In der Tat zeigen unsere Untersuchungsergebnisse, dass ein seltener und damit unerwarteter Ton zu einer stärkeren neuronalen Antwort führt als ein häufiger Ton.“ Dabei reguliert das Fledermausgehirn die Stärke der neuronalen Antwort auf häufige Echoortungslaute herunter und verstärkt die Antwort auf seltene Kommunikationslaute. Wetekam: „Dies zeigt, dass die Fledermäuse unerwartete Geräusche in Abhängigkeit von der Frequenz unterschiedlich verarbeiten, um adäquate Sinneseindrücke zu erhalten.“

Interessant dabei ist, sagt Wetekam, dass die Verarbeitung der Signale offenbar bereits im Stammhirn erfolgt, von dem man bisher annahm, dass es Hörsignale lediglich annimmt und in höhere Hirnregionen weiterleitet, wo die Signale miteinander verrechnet werden. Der Grund: „Wahrscheinlich erspart es dem Gehirn als Ganzem Energie, und es ermöglicht eine sehr schnelle Reaktion“, sagt Wetekam.

Prof. Manfred Kössl meint: „Wir kennen alle den Party-Effekt: Wir können die Unterhaltungen der Menschen in unserer Umgebung ausblenden, um uns ganz auf unseren Gesprächspartner zu konzentrieren. Hier liegen ähnliche Mechanismen wie bei der Fledermaus zugrunde. Wenn wir besser verstehen, wie Fledermäuse hören, könnte uns das in Zukunft helfen nachzuvollziehen, was bei Krankheiten wie zum Beispiel der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung – kurz: ADHS – geschieht, bei der Umweltreize nicht mehr angemessen verarbeitet werden können.“

Publikation: Johannes Wetekam, Julio Hechavarría, Luciana López-Jury, Manfred Kössl: Correlates of deviance detection in auditory brainstem responses of bats. Eur. J. Neurosci 2021, Nov 11 https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/ejn.15527

Bilder zum Download: https://www.uni-frankfurt.de/112837573
Bildtext: Die Brillenblattnase Carollia perspicillata fliegt nachts auf Futtersuche. Foto: Julio Hechavarria

Weitere Informationen
Johannes Wetekam
AK Neurobiologie und Biosensorik
Tel. +49 (0)69 798 42066
wetekam@bio.uni-frankfurt.de

Prof. Dr. Manfred Kössl
Institut für Zellbiologie und Neurowissenschaft
Leitung AK Neurobiologie und Biosensorik
Goethe-Universität Frankfurt
Tel. +49 (0)69 798 42052
Koessl@bio.uni-frankfurt.de
https://www.bio.uni-frankfurt.de/36526663/Abt__K%C3%B6ssl___Biowissenschaften


Redaktion: Dr. Markus Bernards, Referent für Wissenschaftskommunikation, Abteilung PR & Kommunikation, Telefon 069 798-12498, Fax 069 798-763-12531, bernards@em.uni-frankfurt.de

 

Bereits während der Entwicklung neuer Bio-Produkte lässt sich abschätzen, ob Risiken für die spätere Freisetzung giftiger Substanzen bestehen. Das zeigt eine Proof-of-Concept-Studie unter Federführung der Goethe-Universität Frankfurt und der RWTH Aachen. In der Studie wurde die Toxizität nachhaltiger Biotenside etwa für Bio-Schampoos und einer neuen Technologie zum sparsamen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln mit einem kombinierten Verfahren aus Computerberechnungen und Experimenten untersucht. Die Studie ist ein erster Schritt in Richtung einer ökotoxikologisch abgesicherten Bioökonomie, die nachhaltige Ressourcen und Prozesse nutzt, um Umweltbelastungen deutlich zu reduzieren.

FRANKFURT. Die natürlichen Ressourcen des Planeten gehen zur Neige, gleichzeitig beruhen auf ihnen Wohlstand und Entwicklung. Ein Dilemma, aus dem die EU mit ihrer überarbeiteten Bioökonomie-Strategie herausfinden will. Statt auf fossile soll sich die Wirtschaft künftig auf nachwachsende Rohstoffe stützen. Dazu gehören Pflanzen, Holz, Mikroorganismen und Algen. Irgendwann bewegt sich alles in Kreisläufen, jedoch braucht es für die Verwirklichung der zirkularen Bioökonomie einen Wandel in der Herstellung von Chemikalien. Auch sie müssen aus Biorohstoffen statt aus Erdöl gewonnen werden. Aus diesen Anforderungen formulierten die US-Chemiker Paul Anastas und John C. Warner 1998 zwölf Prinzipien der Grünen Chemie. Einer ihrer Grundsätze wurde bisher jedoch stark vernachlässigt: die Reduzierung der Umwelt-Toxizität von neu entwickelten Stoffen.

Genau hier setzte das interdisziplinäre Projekt “GreenToxiConomy" an, das Teil des Wissenschaftsverbundes Bioeconomy Science Center (BioSC) ist. Ziel war es, biobasierte Stoffe und neuartige Technologien schon früh in der Produktentwicklung auf umwelttoxische Effekte hin abzuklopfen und die Erkenntnisse daraus ins Produktdesign einfließen zu lassen. Für die Untersuchungen stellten Projektpartner aus Aachen, Jülich und Düsseldorf zwei ihrer biobasierten Produktkandidaten zur Verfügung: Biotenside und Pflanzenschutz-Mikrogelbehälter.

Die waschaktiven Biotenside für den Einsatz in Shampoos oder Reinigungsmitteln basieren bei BioSC statt auf Rohöl auf den Syntheseleistungen des Bakteriums Pseudomonas putida beziehungsweise des Pilzes Ustilago maydis. Die Mikrogel-Technologie ermöglicht die kontrollierte Abgabe von Pflanzenschutzmitteln, weil die Behälter dafür sorgen, dass die Wirkstoffe auch bei Regen an den Pflanzen haften bleiben.

Dr. Sarah Johann, Erstautorin der Studie und Arbeitsgruppenleiterin in der Abteilung Evolutionsökologie und Umwelttoxikologie am Institut für Ökologie, Evolution und Diversität der Goethe-Universität Frankfurt, erklärt: “Für die Untersuchung der neuartigen Substanzen und Technologien haben wir einen breiten Konzentrationsbereich ausgewählt, um mögliche potenzielle Gefährdungen für Mensch und Umwelt gut abschätzen zu können. Wir wollten untersuchen, ob die biobasierten Tenside noch umweltfreundlicher als herkömmliche chemische Tenside sind. Und wir wollten ausschließen, dass von den Mikrogelbehältern als solche irgendeine Toxizität ausgeht."

Um die ökotoxikologische Evaluierung möglichst präzise werden zu lassen, kombinierte das Projekteam zwei Dinge für die Toxizitätsbestimmung miteinander: computergestützte Voraussagen (in silico) und Experimente im Labor (in vitro und in vivo). Die Computermodelle arbeiten mit Toxizitätsdaten von bekannten Chemikalien, deren Struktur sie mit der Struktur der neuen biobasierten Stoffe verglichen, um so die Toxizität vorauszusagen. Die Experimente wurden an wasser- und landlebenden Organismen durchgeführt, die bestimmte Organismengruppe repräsentieren, darunter Regenwürmer, Springschwänze, Wasserflöhe und Zebrafischembryonen im ganz frühen Stadium.

Das Ergebnis: Sowohl Biotenside wie auch Mikrogele sind vielversprechende Kandidaten für den Einsatz im Sinne einer künftigen Bioökonomie, deren Produkte sowohl nachhaltig hergestellt werden als auch beim und nach dem Gebrauch keine Umweltschäden oder Schäden für den Menschen hervorrufen. “Wir können unsere Aussagen allerdings nur in gewissen Grenzen treffen, denn die Übertragung von Laborergebnissen auf die Realität im Freiland oder in anderweitigen Anwendungen ist kompliziert", so Johann. Für eine gesamtheitliche Bewertung des Risikopotentials braucht es mehr Forschung, weswegen Folgeprojekte geplant sind.

Prof. Henner Hollert, Leiter der Abteilung Evolutionsökologie und Umwelttoxikologie der Goethe-Universität Frankfurt, unterstreicht die Bedeutung der engen interdisziplinären Zusammenarbeit bei “GreenToxiConomy", Im Projekt designten Biotechnologen und Ingenieure zusammen ein neues Produkt, das während der Entwicklungsschritte von Ökotoxikologen der Goethe-Universität gemeinsam mit einem Team an der RWTH Aachen um Prof. Dr. Martina Roß-Nickoll bewertet wurde. „Dieser fortlaufende Prozess ist die große Stärke des Projekts." Zwar markiere es nur einen ersten Schritt in Richtung einer ökotoxikologisch abgesicherten Bioökonomie. Aber für Hollert steht jetzt schon fest, dass Ökotoxikologie beziehungsweise Green Toxicology bei den Plänen der EU eine zentrale Rolle spielen wird. “Geht es um künftige biobasierte Produktentwicklung und Produktdesign, müssen wir die Folgen für Mensch und Umwelt frühzeitig klären. Da kann unser Ansatz wertvolle Dienste leisten."

Publikation: Sarah Johann, Fabian G. Weichert, Lukas Schröer, Lucas Stratemann, Christoph Kämpfer, Thomas-Benjamin Seiler, Sebastian Heger, Alexander Töpel, Tim Sassmann, Andrij Pich, Felix Jakob, Ulrich Schwaneberg, Peter Stoffels, Magnus Philipp, Marius Terfrüchte, Anita Loeschcke, Kerstin Schipper, Michael Feldbrügge, Nina Ihling, Jochen Büchs, Isabel Bator, Till Tiso, Lars M. Blank, Martina Roß-Nickoll, Henner Hollert. A plea for the integration of Green Toxicology in sustainable bioeconomy strategies – Biosurfactants and microgel-based pesticide release systems as examples. In: J. Hazard. Mat. 426 (2022) 127800. https://doi.org/10.1016/j.jhazmat.2021.127800

Weitere Informationen
Prof. Dr. Henner Hollert
Institut für Ökologie, Evolution und Diversität
Goethe-Universität Frankfurt
Tel: +49 (0)69 798-42171
hollert@bio.uni-frankfurt.de
https://www.bio.uni-frankfurt.de/43970666/Abt__Hollert


Redaktion: Dr. Markus Bernards, Referent für Wissenschaftskommunikation, Büro PR & Kommunikation, Telefon 069 798-12498, Fax 069 798-763-12531, bernards@em.uni-frankfurt.de

 

Feb 11 2022
11:39

Bundesweite Langzeitanalyse untersuchte 250 Millionen Krankenhausaufnahmen

Mit Leberzirrhose ins Krankenhaus: Höchste Sterblichkeitsrate aller chronischen Krankheiten

Von allen chronischen Krankheiten, die in Deutschland die Einweisung in ein Krankenhaus erfordern, hat die Leberzirrhose die höchste Mortalitätsrate. Wird sie als Komorbidität anderer chronischer Krankheiten diagnostiziert, führt sie mindestens zu einer Verdoppelung der Sterblichkeitsrate. Insgesamt hat sich die Zahl der Hospitalisierungen mit Leberzirrhose trotz der Einführung hochwirksamer Medikamente gegen Hepatitis C bundesweit erhöht. Alkoholmissbrauch bleibt dafür bei weitem die Hauptursache. Das ergab eine Studie unter der Leitung von Prof. Jonel Trebicka vom Universitätsklinikum Frankfurt, die einen Beobachtungszeitraum von 14 Jahren umfasste.

FRANKFURT. Die Zirrhose, bei der funktionsfähiges Lebergewebe untergeht und vernarbt, ist das gemeinsame Endstadium der meisten chronischen Lebererkrankungen und die vierthäufigste Todesursache in Mitteleuropa. Über ihr epidemiologisches Profil in Deutschland lagen jedoch bislang kaum aktuelle Erkenntnisse vor. Deshalb entschlüsselte ein Forschungsteam um Prof. Jonel Trebicka anhand der Datensätze des Statistischen Bundesamtes die rund 250 Millionen Krankenhausaufnahmen, die von 2005 bis 2018 in Deutschland aus irgendeinem Grund erfolgt waren, gemäß der 10. Version der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10). 0,94 Prozent dieser Hospitalisierungen waren der Diagnose Leberzirrhose zuzuordnen, in der Mehrzahl der Fälle als Begleit- und nicht als Haupterkrankung. In absoluten Zahlen nahmen die Einweisungen mit Leberzirrhose im Beobachtungszeitraum von 151.108 auf 181.688 zu.

Der primäre Endpunkt der Studie war die Sterblichkeit an Leberzirrhose im Krankenhaus. Zwar ist diese Mortalitätsrate im Beobachtungszeitraum erfreulicherweise von 11,57% auf 9,49% gesunken, liegt damit aber immer noch deutlich über den entsprechenden Raten anderer chronischer Krankheiten wie Herzinsuffizienz (8,4%), Nierenversagen (6,4%) und chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (5,2%). Trat eine Leberzirrhose begleitend zu einer anderen chronischen Krankheit auf, dann erhöhte sie deren Mortalitätsrate um das Zwei- bis Dreifache, am stärksten bei infektiösen Atemwegserkrankungen.

Dank der Einführung direkt wirksamer antiviraler Medikamente gegen Hepatitis C-Erkrankungen hat sich der Anteil der HCV-bedingten Zirrhosen im Beobachtungszeitraum auf knapp ein Drittel reduziert. Umgekehrt hat sich die Häufigkeit von Zirrhosen, die durch eine nicht-alkoholische Fettleber bedingt sind, in dieser Zeit vervierfacht, parallel zu einem Anstieg von Patienten mit krankhaftem Übergewicht (Adipositas). Unbeeinflusst von diesen ätiologischen Verschiebungen dominieren jedoch weiterhin die durch Alkoholmissbrauch entstandenen Zirrhosen. Sie machen 52 Prozent aller in der Studie erfassten Zirrhosen aus, in absoluten Zahlen mit steigender Tendenz.

Vermutlich aufgrund der in deutschen Kliniken weithin befolgten Behandlungsrichtlinien, zum Beispiel durch endoskopische Prozeduren oder die Gabe nicht-selektiver Beta-Blocker, treten Blutungen im Magendarmtrakt als Komplikation einer Leberzirrhose im Krankenhaus immer seltener auf. Blutungen aus Krampfadern in der Speiseröhre waren 2018 sogar auf ein Zehntel ihres Ausgangswertes von 2005 zurückgegangen. Auf der anderen Seite haben   Verschlechterungen des Krankheitsbildes aufgrund von Bauchwassersucht (Ascites) oder von Gehirnstörungen durch unzureichende Entgiftungsarbeit der Leber zugenommen. Die Zahl der Pfortaderthrombosen wiederum verdoppelte sich parallel zu einer intensiveren bildgebenden Diagnostik.

Verglichen mit anderen chronischen Krankheiten, waren die mit Zirrhose aufgenommenen Patienten deutlich jünger: Die Hälfte von ihnen hatte das 64. Lebensjahr noch nicht überschritten. In den ostdeutschen Bundesländern waren höhere Hospitalisierungs- und Krankenhausmortalitätsraten zu verzeichnen als in den westdeutschen. Bundesweit waren rund zwei Drittel der mit einer Leberzirrhose hospitalisierten Patienten Männer. Sie starben häufig bereits in ihrem sechsten Lebensjahrzehnt oder früher, woraus sich die große Zahl verlorener gesunder Lebensjahre und die hohe sozioökonomische Belastung erklärt, die mit einer Leberzirrhose einhergeht. Denn Männer dieses Alters machen noch immer den Großteil aller Berufstätigen aus.

„Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass die Entscheider und Kostenträger des Gesundheitswesens viel stärker in die Prävention alkoholbedingter Leberzirrhosen investieren sollten“, bilanziert Prof. Jonel Trebicka. „Sie verdeutlichen auch, wie wichtig es ist, die Leberzirrhose als Begleiterkrankung anderer chronischer Krankheiten wahrzunehmen und zu behandeln.“

Publikation: Wenyi Gu, Hannah Hortlik, Hans-Peter Erasmus, Louisa Schaaf, Yasmin Zeleke, Frank E. Uschner, Philip Ferstl, Martin Schulz, Kai-Henrik Peiffer, Alexander Queck, Tilman Sauerbruch, Maximilian Joseph Brol, Gernot Rohde, Cristina Sanchez, Richard Moreau, Vicente Arroyo, Stefan Zeuzem, Christoph Welsch, Jonel Trebicka: Trends and the course of liver cirrhosis and its complications in Germany: Nationwide populationbased study (2005 to 2018) The Lancet Regional Health - Europen 2022;12: 100240 https://doi.org/10.1016/j.lanepe.2021.100240

Weitere Informationen
Univ.-Prof. Dr. Dr. med. Jonel Trebicka
Universitätsklinikum Frankfurt
Medizinische Klinik I
Sektion Translationale Hepatologie
Tel. +49 (0)69 6301 80789 (Jennifer Biondo, Sekretariat)
Jonel.Trebicka@kgu.de

Redaktion: Dr. Markus Bernards, Referent für Wissenschaftskommunikation, Büro PR & Kommunikation, Telefon 069 798-12498, Fax 069 798-763-12531, bernards@em.uni-frankfurt.de

 

Feb 10 2022
14:48

Digitalisierung und Künstliche Intelligenz in Wirtschafts- und Bildungswissenschaft: Im neuen UniReport werden zwei zukunftsträchtige Projekte vorgestellt. 

Kompetenz im Umgang mit Daten 

FRANKFURT. Aus hundertseitigen, oftmals verstaubten Büchern zieht er mittels computerlinguistischer Methoden hochspannende Datensätze: Prof. Dr. Alexander Hillert koordiniert als Professor für Finance und Data Science das SAFE-Forschungsdatenzentrum. Jungen Forscherinnen und Forschern eine fundierte Methoden- und Datenkompetenz zu vermitteln, ist ihm ein großes Anliegen, wie er im neuen UniReport betont.
Auch in IMPACT, einem Projekt der Bildungswissenschaft, spielt die Erhebung und Analyse von Daten eine entscheidende Rolle: Prof. Hendrik Drachsler, Professor für Informatik mit dem Schwerpunkt Educational Technologies am DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation und an der Goethe-Universität, arbeitet im Verbundprojekt mit seinen Kolleg*innen daran, mittels Daten aus Lernprozessen Studierende bei der Erreichung ihrer Studienziele zu unterstützen und zur Verbesserung der Hochschullehre beizutragen.  

Weitere Themen im aktuellen UniReport:

  • Hoffnung auf ein Sommersemester mit mehr Präsenz: Universitätspräsident Prof. Enrico Schleiff schaut optimistisch nach vorne.
  • Erziehung nach Auschwitz: Der Erziehungswissenschaftler Prof. Wolfgang Meseth erforscht die schulische Vermittlung des Nationalsozialismus und des Holocaust.
  • Wissenschaftliche Expertise für ein traditionsreiches Berufsfeld: Der Duale Kooperationsstudiengang Hebammenwissenschaft der Goethe-Universität mit der Frankfurt University of Applied Sciences startet im Sommersemester.
  • Grenzübergreifendes Zentrum für religionsbezogene Forschung: Die Goethe-Universität und die Tel Aviv University wollen sich zusammenschließen.
  • Märchenparodien: Der Illustrator und Kinderbuchautor Sebastian Meschenmoser erhält die Grimm-Bürgerdozentur 2022 der Goethe-Universität und der Stadt Hanau.
  • Hören, was gerade wichtig ist: Wie die Brillenblattnasen-Fledermaus Dauergeräusche ausblendet.
  • Rechtschreibung lernen: einfach nur hinhören? Die Sprachwissenschaftlerin Prof. Angela Grimm zum Schreib- und Leseunterricht an Grundschulen.
  • Persönlichkeitsunterschiede im Umgang mit Stress und Emotionen: Die Psychologie-Professorin Sonja Rohrmann im Porträt.
  • Der intuitive Zugang zum Urknall: Gespräch mit der theoretischen Physikerin Hannah Elfner über das Warten auf Daten, über die Rolle von Visualisierungen vom »Little Bang« und die Betreuung von Studierenden.
  • Müssen wir immer noch mehr Gutes tun? Die Philosophin Jessica Fischer, Postdoctoral Fellow des Justitia Center for Advanced Studies, forscht zur moralphilosophischen Begründung der Maximierung des Gutseins.
  • Im Spannungsfeld zwischen Kindeswohl und Kontrolle: Die Kulturanthropologin Laura McAdam-Otto hat in ihrer Doktorarbeit den Umgang europäischer Behörden mit jungen Geflüchteten erforscht.
  • Die Gestaltung des eigenen Lebens üben: »Re:Start nach der Krise« ist ein Angebot der Psychotherapeutischen Beratungsstelle für Studierende.
  • Die bizarrsten Objekte im Universum: Der Astrophysiker Luciano Rezzolla nimmt in seinem Buch die Leserinnen und Leser mit auf eine Entdeckungsreise zu Schwarzen Löchern und Neutronensternen.
  • Wie bildet man den richtigen Plural von Campus? Campusse, Campus oder Campi? Der Klassische Philologe Prof. Hans Bernsdorff hält nur Campi für richtig.
  • Dumme Fragen gibt es nicht: Julia Sammet leitet seit acht Jahren das Physik-Lernzentrum.

Der UniReport 1/2022 steht zum kostenlosen Download bereit unter: https://www.uni-frankfurt.de/112735018

 

Feb 10 2022
14:17

Internationales Forschungsteam untersucht photoelektrischen Effekt mithilfe eines COLTRIMS-Reaktionsmikroskops

Einsteins photoelektrischer Effekt: So lange dauert die Freisetzung eines Elektrons

Wenn Licht auf Material fällt, können daraus Elektronen freigesetzt werden – der photoelektrische Effekt. Auch wenn dieser Effekt bereits bei der Entwicklung der Quantentheorie eine wichtige Rolle spielte, birgt er immer noch einige Geheimnisse: Bislang war nicht klar, wie schnell diese Freisetzung in Molekülen vonstattengeht. Jonas Rist, Doktorand in einem internationalen Forschungsteam am Institut für Kernphysik der Goethe-Universität Frankfurt, konnte dieses Rätsel mithilfe eines sogenannten COLTRIMS-Reaktionsmikroskops – einer Frankfurter Entwicklung – nun lösen: Sie geschieht rasend schnell innerhalb weniger Attosekunden, also milliardstel milliardstel Sekunden.

FRANKFURT. Vor genau hundert Jahren erhielt Albert Einstein den Nobelpreis für Physik für seine Arbeiten zum photoelektrischen Effekt. Seine revolutionäre Relativitätstheorie hatte die Jury noch nicht richtig verstanden – doch auch beim photoelektrischen Effekt hatte Einstein Bahnbrechendes geleistet. Mit seiner Analyse konnte er nachweisen, dass Lichtstrahlung aus einzelnen Energiepaketen – sogenannten Photonen – besteht. Dies war eine entscheidende Bestätigung für Max Plancks Hypothese, dass Licht aus Quanten besteht, und ebnete der modernen Quantentheorie den Weg.

Obwohl der photoelektrische Effekt in Molekülen mittlerweile gut untersucht ist, war es bislang aber nicht möglich, seine zeitliche Entwicklung experimentell zu bestimmen. Wie lange dauert es, nachdem ein Lichtquant ein Molekül getroffen hat, bis schließlich ein Elektron unter einer bestimmten Richtung herausfliegt? „Der Zeitabstand zwischen Photonenabsorption und Elektronenemission ist sehr schwer zu messen, weil er nur wenige Attosekunden kurz ist“, erklärt Prof. Till Jahnke, der Betreuer von Jonas Rist. Das entspricht nur wenigen Lichtschwingungen. „Es ist bislang unmöglich gewesen, diese Dauer direkt zu messen, weshalb wir sie nun indirekt bestimmt haben.“ Dazu haben die Wissenschaftler ein COLTRIMS-Reaktionsmikroskop genutzt – eine Messapparatur, mit der einzelne Atome und Moleküle in ungeheurem Detailgrad untersucht werden können.

Die Forscher schossen hochintensives Röntgenlicht – erzeugt an der Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II des Helmholtz-Zentrums Berlin – auf eine Probe aus Kohlenmonoxid im Zentrum des Reaktionsmikroskops. Das Kohlenmonoxid-Molekül besteht aus einem Sauerstoff- und einem Kohlenstoffatom. Der Röntgenstrahl besaß nun genau die passende Energie, um eines der Elektronen aus der innersten Elektronenschale des Kohlenstoffatoms herauszuschlagen. Dadurch bricht das Molekül auf. Das Sauerstoff- und Kohlenstoffion sowie das freigesetzte Elektron wurden dann vermessen.

„Nun kommt uns die Quantenphysik zu Hilfe“, erläutert Rist. „Die Emission der Elektronen geschieht nämlich nicht symmetrisch in alle Richtungen.“ Da Kohlenmonoxid-Moleküle eine ausgezeichnete Achse besitzen, werden die herausgeschossenen Elektronen, solange sie sich noch in der unmittelbaren Nähe des Moleküls befinden, von dessen elektromagnetischen Feldern angezogen. Das verzögert die Freisetzung ein klein wenig – und zwar unterschiedlich stark, je nachdem in welcher Richtung das Elektron herausgeschleudert wird.

Da Elektronen nach den Gesetzen der Quantenphysik nicht nur Teilchen-, sondern auch Wellencharakter besitzen, sorgt diese Verzögerung dafür, dass die Wellentäler und Wellenberge der Elektronen ein Interferenzmuster auf dem Detektor zeichnen. „Anhand dieser Interferenzeffekte, die wir mit dem Reaktionsmikroskop messen konnten, ließ sich die Verzögerungsdauer indirekt mit hoher Genauigkeit bestimmen, auch wenn die Zeitdauer unglaublich kurz ist“, so Rist. „Dazu mussten wir allerdings alle quantenphysikalischen Tricks ausnutzen.“

Die Messungen zeigten einerseits, dass es in der Tat nur einige Dutzend Attosekunden dauert, das Elektron zu emittieren. Andererseits offenbarten sie, dass diese Zeitdauer sehr stark davon abhängt, unter welcher Richtung das Elektron das Molekül verlässt, und dass die Zeitdauer außerdem auch stark von der Geschwindigkeit des Elektrons abhängt.

Diese Messungen sind nicht nur für die physikalische Grundlagenforschung interessant. Die Modelle, mit denen man diese Art von Elektronendynamik beschreibt, sind auch für viele chemische Prozesse relevant, bei denen Elektronen nicht nach außen freigesetzt werden, sondern etwa zu benachbarten Molekülen übertragen werden und dort weitere Reaktionen auslösen. „In Zukunft könnten solche Experimente deshalb auch helfen, chemische Reaktionsdynamiken besser zu verstehen“, sagt Jahnke.

Publikation: Jonas Rist, Kim Klyssek, Nikolay M. Novikovskiy, Max Kircher, Isabel Vela-Pérez, Daniel Trabert, Sven Grundmann, Dimitrios Tsitsonis, Juliane Siebert, Angelina Geyer, Niklas Melzer, Christian Schwarz, Nils Anders, Leon Kaiser, Kilian Fehre, Alexander Hartung, Sebastian Eckart, Lothar Ph. H. Schmidt,1 Markus S. Schöffler, Vernon T. Davis, Joshua B. Williams, Florian Trinter, Reinhard Dörner,1 Philipp V. Demekhin, Till Jahnke: Measuring the photoelectron emission delay in the molecular frame. Nat Commun 12, 6657 (2021). https://doi.org/10.1038/s41467-021-26994-2

Bilder zum Download: https://www.uni-frankfurt.de/112731392

Bildtext
COLTRIMS_atBESSYii_PhotoMiriamKeller.jpg:
Viel Technik: Das COLTRIMS-Reaktionsmikroskop am Elektronenspeicherring BESSY II, Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie. Foto: Miriam Weller, Goethe-Universität Frankfurt

Rist_Jonas_PhotoAlexanderHartung.jpg:
Doktorand Jonas Rist von der Goethe-Universität Frankfurt. Foto: Alexander Hartung, Goethe-Universität Frankfurt

Weitere Informationen
Prof. Dr. Till Jahnke
European XFEL und
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Tel.: + 49 (0)69-798 47023 (Sekretariat)
till.jahnke@xfel.eu

Prof. Dr. Reinhard Dörner
Institut für Kernphysik
Goethe-Universität Frankfurt
Tel. +49 (0)69 798-47003
doerner@atom.uni-frankfurt.de
https://www.atom.uni-frankfurt.de/

Redaktion: Dr. Markus Bernards, Referent für Wissenschaftskommunikation, PR & Kommunikation, Telefon 069 798-12498, Fax 069 798-763-12531, bernards@em.uni-frankfurt.de

 

Feb 7 2022
09:27

Präsident Enrico Schleiff würdigt bahnbrechende Erkenntnis für Quantenphysik – Dienstag Festveranstaltung mit Livestream in Frankfurter Paulskirche

Nobelpreis-Experiment: 100 Jahre Stern-Gerlach-Versuch an der Goethe-Universität

FRANKFURT. In der Nacht vom 7. auf den 8. Februar 1922 waren die Physiker Prof. Otto Stern und Prof. Walter Gerlach an der Goethe-Universität mit einem Experiment erfolgreich, das ausschlaggebend für die Verleihung des Nobelpreises 1943 an Otto Stern sein sollte.

Prof. Enrico Schleiff, Präsident der Goethe-Universität Frankfurt und selbst Physiker, erinnert an den Forschungsgeist, der die Arbeiten am Institut für Physik der erst acht Jahre zuvor gegründeten Goethe-Universität prägte: „Wirtschaftlich war die Lage sehr schwierig, doch die Neugierde von Otto Stern und Walter Gerlach konnte das nicht bremsen; sie wollten unbedingt die theoretisch vorhergesagte Raumquantelung experimentell überprüfen. Das Geld für die Apparaturen bekamen sie von Freunden sowie Stifterinnen und Stiftern, ein Engagement der Frankfurter Bürgerschaft zur Stärkung der Forschung der Goethe Universität, ohne die auch heute die Forschung auf Spitzenniveau kaum möglich wäre.
Getragen wurden sie vom 'Spirit' am Institut für Physik, von dem Walter Gerlach später einmal sagte, dass die Zusammenarbeit großartig gewesen sei und man dauernd über alles gesprochen und voneinander gelernt habe. Dieser 'Spirit' ist auch für unser heutiges Miteinander an der Universität und den mit uns verbunden Partnern in der Forschung von enormer Bedeutung, um die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft mitzugestalten.
Das Experiment von Otto Stern und Walter Gerlach hat uns gezeigt, wie wichtig die Grundlagenforschung wer und ist, denn sie legt die Basis für zahlreiche Anwendungen, wie im Fall von Stern und Gerlach das Kernspinverfahren, die Atomuhr oder den Laser. Gerade die Erinnerung an diese Experimente sollte auch in die Politik getragen werden, denn auch in der heute so schnelllebigen Zeit ist langfristig angelegte Grundlagenforschung das Fundament für die langfristige Innovationsfähigkeit unserer Gesellschaft.
Gleichzeitig mahnt uns ein Rückblick auf diese Zeit zu nie nachlassender Toleranz und Weltoffenheit, denn wegen des erstarkenden Antisemitismus in den 1920er-Jahren verließ Otto Stern zunächst unsere Universität und dann Deutschland.“

Zum Gedenken an das "Stern-Gerlach-Experiment" vor 100 Jahren veranstalten die Deutsche Physikalische Gesellschaft, der Physikalische Verein Frankfurt, der Fachbereich Physik der Goethe-Universität und die Gesellschaft Deutscher Chemiker in der Frankfurter Paulskirche eine Festlichkeit, die per Livestream übertragen wird:

Dienstag, 8. Februar 2022
18 Uhr bis 19:30 Uhr
https://hvo.events/dpg

Programm:

"Das Stern-Gerlach-Experiment - Ein Meilenstein der Physikgeschichte"
Vortrag von Prof. Horst Schmidt-Böcking, Institut für Physik, Goethe-Universität

"Stern-Gerlach in der Moderne - Präzisionsphysik mit gespeicherten Ionen"
Vortrag von Prof. Klaus Baum, Direktor am Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg

Grußwort der Frankfurter Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg

Dialog-Gespräch zwischen Prof. Dorothée Weber-Bruls, Präsidentin des Physikalischen Vereins, und Dr. Lutz Schröter, Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft


Redaktion: Dr. Markus Bernards, Referent für Wissenschaftskommunikation, Abteilung PR & Kommunikation, Telefon 069 798-12498, Fax 069 798-763-12531, bernards@em.uni-frankfurt.de