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Forschung

Jan 30 2013
11:19

Direktor des Instituts für Jugendbuchforschung Hans Heino Ewers zu der Debatte über diskriminierende Begriffe in Kinderbüchern

Plädoyer für eine sprachliche Anpassung mit Augenmaß

FRANKFURT. Seit der Thienemann Verlag um 8. Januar verkündete, dass Otfried Preußlers Kinderbuchklassiker „Die kleine Hexe“ künftig ohne die diskriminierenden Begriffe „Negerlein“ und „Neger“ erscheinen wird, ist in den deutschsprachigen Feuilletons eine leidenschaftliche Debatte ausgebrochen: „Political Correctness“ versus „Euphemismus-Tretmühle“, Werktreue versus freiwillige Anpassung an den aktuellen Sprachgebrauch. Wie steht der Literaturwissenschaftler und Direktor des Frankfurter Instituts für Jugendbuchforschung, Prof. Dr. Hans-Heino Ewers zu dieser Diskussion, die bereits vor einigen Jahren zu Pippi Langstrumpfs Vater, inzwischen von Negerkönig zum Südseekönig mutiert, geführt wurde?

Ewers plädiert dafür, die aktuellen Leseausgaben an den heutigen Sprachgebrauch anzupassen, aktuell hochgradig belastete Wörter, die bereits jüngere Kinder als diskriminierend empfinden, sollten durch gleichbedeutende unbelastete Wendungen ersetzt werden. „Eingriffe dieser Art bedeuten keine Entstellung des Textes; sie dienen im Gegenteil dem aktuellen Verständnis seiner ursprünglichen Intention.“ Der Germanist nennt dafür ein nicht so geläufiges und weniger emotionalisiertes Beispiel: „Wenn in einem Märchen aus der Zeit von Klassik und Romantik von einem ‚blöden Kind‘ die Rede ist, dürfte kein kindlicher Leser von selbst die damalige Bedeutung von ‚blöde‘ herausfinden; in einer Leseausgabe von heute sollte es deshalb ‚schüchternes Kind‘ heißen.“

Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter seien noch nicht in der Lage, historische Texte als solche zu identifizieren, deshalb sei es notwendig, diese Literatur dem sprachlichen Wandel anzupassen: „Vor- und mitlesende Erwachsene könnten ihnen zwar erklärend beistehen, in der zu fördernden selbständigen Lektüre sind sie jedoch ohne Begleitung. Damit ist die Gefahr von Missverständnissen gegeben.“ Der Experte für Kinder-und Jugendliteratur leugnet nicht, dass die freiwilligen, so doch gesellschaftlich erwünschten Anpassungsprozesse immer komplexer werden. Literaturwissenschaftler sollten dort Einspruch erheben, „wo im Windschatten vertretbarer Eingriffe Kinderbücher aus falschen Rücksichten weichgespült und in der Substanz beschädigt werden“.

Veränderungen in aktualisierten Ausgaben genauer zu verfolgen und im historischen Kontext zu untersuchen, ist ein spannender Forschungsgegenstand, zu dem es auch an der Goethe-Universität auf dem Gebiet der Märchenforschung bereits interessante Arbeiten gibt. „Ältere Kinderbücher sind, was ihren Sprachgebrauch angeht, aus ihrer Entstehungszeit heraus zu verstehen – mit anderen Worten als historische Texte zu lesen. Die zu Klassikern gewordenen  Kinderbücher einer Astrid Lindgren, eines Otfried Preußler oder eines Michael Ende deshalb als rassistisch zu bezeichnen, weil sie Wörter enthalten, die heute aus gutem Grund tabu sind, ist abwegig,“ so der Frankfurter Literaturwissenschaftler.

Ewers macht darauf aufmerksam, dass sprachliche Eingriffe sich nicht nur auf den Bereich der Kinderbücher beschränken: „Nahezu alle Leseausgaben älterer Werke der Allgemeinliteratur beruhen auf einer unterschiedlich weitreichenden Textbearbeitung. Dabei geht es nicht nur um eine Anpassung an die aktuelle Rechtschreibung und Zeichensetzung; oft werden auch heute nicht mehr verständliche altertümliche Wendungen ersetzt. Auskunft darüber wird, wenn überhaupt, nur im Kleingedruckten gegeben. Wirklich sakrosankt ist der ursprüngliche Text nur im Fall von historisch-kritischen Editionen.“ Es seien jedoch die jeweils aktuellen Leseausgaben, welche die Klassiker – dazu gehörten auch die aus anderen Sprachen – lebendig, zugänglich und verständlich hielten.

Informationen: Prof. Dr Hans-Heino Ewers, Institut für Jugendbuchforschung, Campus Westend, Tel.: (069) 798-32997, ewers@em.uni-frankfurt.de