​​​​​​​Pressemitteilungen ​​​​​​ ​ – September 2014

Unsere Pressemitteilungen informieren Sie über aktuelle Ereignisse aus der Universität. Dazu zählen neue Forschungsergebnisse, universitäre Themen und Veranstaltungsankündigungen. Sie wollen regelmäßig über Neuigkeiten aus der Goethe-Universität informiert werden? Abonnieren Sie unsere Pressemitteilungen.

Pressestelle Goethe-Universität

Theodor-W.-Adorno Platz 1
60323 Frankfurt 
presse@uni-frankfurt.de

Veranstaltungen

Sep 9 2014
10:21

Uni-Psychologe Gerhard Büttner über den gelungenen Schulstart

Ein großer Einschnitt

FRANKFURT. Für viele Jungen und Mädchen ist es diese Woche soweit: Der erste Schultag ist da, ein großer Einschnitt für Kinder und Eltern. Wie der Wechsel gut gelingen kann, dafür gibt es aus Sicht der Wissenschaft einige Faustregeln, wie Professor Gerhard Büttner von der Abteilung für Pädagogische Psychologie am Institut für Psychologie der Goethe-Universität Frankfurt erläutert.

Die Dauer der Abwesenheit von zu Hause und die Trennung von den Eltern ist heute nicht mehr das Problem, so Professor Büttner, der auch Direktor an der Akademie für Bildungsforschung und Lehrerbildung (ABL) an der Goethe-Universität Frankfurt ist: „Die meisten Kinder haben ja einen Kindergarten besucht und kennen das schon.“ Dennoch sei die Einschulung für viele ein Riesenschritt: das fremde, große Gebäude, die Ungewissheit, ob man mit bekannten Kindern in die Klasse kommt und wie die neuen Mitschüler so sind – all dies führe oft zu einer großen Verunsicherung.

„Wichtig ist, das Kind vor allem am Anfang emotional zu unterstützen, ihm deutlich zu machen, was für ein wichtiger Schritt das ist“, so der Psychologe. Das Kind zur Schule zu begleiten und es auch wieder abzuholen, das sei am ersten Tag wichtig. Eine große Einschulungsparty mit vielen Verwandten und Bekannten sei nicht immer sinnvoll: „Das lenkt vielleicht zu sehr vom Eigentlichen ab“, sagt Büttner.

Die meisten Kinder gingen gern zur Schule und seien bis zur dritten Klasse hochmotiviert. „Das Lernen ist in dieser Zeit eine große Freude, und die Kinder empfinden es mehrheitlich als etwas Besonderes, in die Schule zu gehen“, sagt der Wissenschaftler. Sollte ein Kind dennoch Schwierigkeiten haben, sich an das Schülerdasein zu gewöhnen und sehne sich nach dem Spielerischen der Kindergartenzeit zurück, sollten die Eltern ihm deutlich machen, dass das nun einmal sein müsse und wie wichtig das Lernen sei. „Nur in sehr wenigen Fällen ist ein Kind noch nicht schulreif und sollte ein Jahr zurückgestuft werden. Im Allgemeinen sind die Einschulungstests aber sehr zutreffend“, meint Büttner.

Gerade bei Kindern, die sich zu Beginn schwertun, sei es wichtig, dass am Nachmittag eine Bezugsperson zur Verfügung stehe, damit sich das Kind nicht alleingelassen fühle. Wenn möglich, würde er auch die Hortbetreuung erst später beginnen lassen: „Zu viel Neues ist für den Anfang nicht gut.“ Andererseits sei die Möglichkeit sozialer Erfahrungen auch für den Nachmittag wichtig. „Eltern sollten ihr Kind darin unterstützen, dass es auch mal Freunde mit nach Hause bringt.“

Von zentraler Bedeutung für den Schulerfolg sei auch die gute Kommunikation zwischen Eltern und Lehrern. Mit Kritik an der Lehrkraft sollten sich Mütter und Väter aber gegenüber dem Kind zurückhalten: „In der Tat sind nicht alle Lehrer gleich gut, aber die Eltern sollten das unter sich besprechen und Probleme sachlich mit dem Lehrer selbst klären“, rät der Experte. Man tue seinen Kindern keinen Gefallen, wenn man vor ihnen abschätzig über den Klassenlehrer spreche: „Das ändert nichts an den Umständen, aber das Vertrauen des Kindes wird erschüttert. Kinder lernen bis weit in die Grundschule hinein sehr personenbezogen. Elterliche Kritik am Lehrer ist da kontraproduktiv.“

Zurückhaltend agieren sollten Eltern Büttner zufolge auch beim Thema Hausaufgaben: „Wissenschaftliche Befunde zeigen, dass es nicht gut ist, wenn Eltern sich zu sehr an den Hausaufgaben beteiligen.“ Wenn stets ein Erwachsener dabeisitze, wenn ein Kind seine Aufgaben erledigt, verhindere dies, dass das Kind selbständig zu arbeiten lerne. „Man sollte das Kind allein arbeiten lassen und in der Nähe sein für den Fall, dass es Fragen hat“, sagt Büttner. Am Ende des Tages sei eine Kontrolle zu empfehlen, bis die Eltern sicher sein könnten, dass das Kind zuverlässig arbeite. „Damit zeigen die Eltern dem Kind auch, dass sie es wertschätzen und an seinem Leben Anteil nehmen.“ Für die spätere Schullaufbahn sei es jedoch wichtig, dass das Kind selbständig arbeite: In der weiterführenden Schule hätten sich die Inhalte zum Teil so sehr gewandelt, dass Eltern nur wenig Einblick hätten. Auch wenn es schwerfällt: Loslassen sei das Stichwort, über dessen Bedeutung sich Eltern im Klaren sein müssten: „Das ist wichtig für den ganzen Lebensweg des Kindes. Man kann nicht verhindern, dass die Kinder groß werden.“

Veranstaltungen

Sep 8 2014
16:52

Der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Wiesbaden, Sven Gerich, und der Präsident der Goethe-Universität, Prof. Dr. Werner Müller-Esterl, laden gemeinsam ins Kurhaus Wiesbaden ein.

Die Goethe-Universität zu Gast in Wiesbaden

FRANKFURT. Anlässlich des 100. Geburtstages der Goethe-Universität werden am
9. September 2014 um 19.00 Uhr ausgewählte Bürgerinnen und Bürger der Landeshauptstadt Wiesbaden zur Veranstaltung „Die Goethe-Universität zu Gast in Wiesbaden“ mit anschließendem Umtrunk in das Kurhaus Wiesbaden, Kurhausplatz 1, 65189 Wiesbaden, geladen. Diese Veranstaltung findet im Rahmen einer Reihe statt, bei der die Goethe-Universität Gemeinden und Städte der Rhein-Main-Region besucht.

Programm:

Sven Gerich, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Wiesbaden
Mehr Gemeinsamkeit wagen – eine Betrachtung vom Rande der Rhein-Main-Region

Prof. Dr. Werner Müller-Esterl, Präsident der Goethe-Universität
Aus der Mitte der Gesellschaft – 100 Jahre Goethe-Universität

Prof. Dr. Peter Lindner, Professor für Wirtschaftsgeographie am Institut für Humangeographie der Goethe-Universität
Eine Frage des Maßstabs: von der kommunalen zur regionalen Industriepolitik

Vertreterinnen und Vertreter der Presse sind herzlich eingeladen.

Forschung

Sep 4 2014
12:00

Militärlager befand sich an verkehrsgünstiger Lage in der Nähe des Rheins zwischen Fernstraße Mainz – Augsburg und Straße an den Mainlimes

Volltreffer bei Grabung in Gernsheim: lang gesuchtes Römerkastell entdeckt

FRANKFURT. Frankfurter Uni-Archäologen haben im Rahmen einer studentischen Lehrgrabung in Gernsheim im Hessischen Ried das seit Langem gesuchte Römerkastell entdeckt: Zwischen 70/80 und 110/120 n. Chr. war dort eine Truppeneinheit mit etwa 500 Soldaten (Kohorte) stationiert. Nachgewiesen wurden in den vergangenen Wochen zwei für entsprechende Kastelle typische Spitzgräben, die Pfostenlöcher eines hölzernen Turms der Umwehrung sowie weitere Befunde aus der Zeit nach der Auflassung des Kastells.

Ungewöhnlich zahlreich sind die Funde. Denn die römische Truppe legte bei ihrem Abzug das Kastell nieder und verfüllte die Gräben. Dabei wurde vor allem im inneren Spitzgraben viel Abfall entsorgt – „ein Glücksfall für uns“ – so Prof. Dr. Hans-Markus von Kaenel vom Institut für Archäologische Wissenschaften der Goethe-Universität – „wir haben Kiste um Kiste mit Scherben von Fein-, Grob- und Transportkeramik gefüllt; ihre Bestimmung wird es erlauben, das Ende des Kastells zeitlich genauer einzugrenzen als bislang möglich“.

Über das römische Gernsheim war bisher wenig bekannt, obwohl hier seit dem 19. Jahrhundert immer wieder römische Funde zutage treten. „Sicher schien aufgrund der Funde bisher nur, dass hier vom 1. bis 3. Jahrhundert eine bedeutende dorfartige Siedlung, ein ‚vicus‘, gelegen haben muss, vergleichbar etwa mit ähnlichen Dörfern, die bereits in Groß-Gerau, Dieburg oder Ladenburg nachgewiesen werden konnten“, erläutert Grabungsleiter Dr. Thomas Maurer, der seit Jahren von Frankfurt aus nach Südhessen auf Spurensuche geht und seine Ergebnisse in einer großen Publikation über das nördliche Hessische Ried in der römischen Kaiserzeit veröffentlich hat.

„Angenommen wurde“ – so Maurer weiter –, „dass diese Siedlung aus einem Kastell hervorgegangen sein müsse, war es doch üblich, dass die Angehörigen der Soldaten vor dem Kastell in einer dorfartigen Siedlung lebten.“ „Diese Grabungskampagne ist ein echter Volltreffer“, freut sich Prof. Dr. Hans-Markus von Kaenel, „die Ergebnisse stellen einen Meilenstein in der Rekonstruktion der Geschichte des Hessischen Ried in der römischen Zeit dar.“ Seit bald 20 Jahren kümmert sich von Kaenel zusammen mit seinen Mitarbeitern und Studierenden im Rahmen von Surveys, Ausgrabungen, Materialaufarbeitungen und Auswertungen um diesen Raum; die Ergebnisse sind in über 50 Beiträgen publiziert worden.

Die Römer errichteten das Kastell in Gernsheim, um in den 70er Jahren des 1. Jh. n. Chr. den rechtsrheinischen Raum großflächig in Besitz zu nehmen und die Verkehrsinfrastruktur vom und zum Zentrum Mainz-Mogontiacum auszubauen. Für die große Bedeutung von Gernsheim am Rhein in römischer Zeit spricht seine verkehrsgünstige Lage, hier zweigte eine Straße an den Mainlimes von der Fernstraße Mainz – Ladenburg – Augsburg ab. Auch die Existenz eines Rheinhafens wird vermutet, was durch diese Grabung allerdings nicht bestätigt werden konnte – „das war schon durch die Auswahl des Areals nicht zu erwarten“, so Maurer. Gernsheim hat sich im 20. Jahrhundert immer stärker ausgedehnt, was die archäologischen Spuren mehr und mehr zu verwischen drohte. Lagen die römischen Überreste um 1900 größtenteils noch unter Äckern und Gärten, so wurden sie peu à peu überbaut und gingen damit der planmäßigen archäologischen Forschung verloren. Das letzte größere Areal, in dem mit römischen Funden zu rechnen war, war ein Gebiet im Südwesten der Stadt zwischen der B 44 und dem Winkelbach. Doch 1971 rückten auch hier die Bagger an. Maurer ergänzt: „Nur notdürftig konnten damals einige römische Funde von ehrenamtlichen Helfern der Denkmalpflege geborgen werden.“

Am 4. August dieses Jahres startete auf einem der wenigen noch unbebauten Grundstücke, ein Doppelgrundstück an der Nibelungenstraße 10-12, die diesjährige Lehrgrabung des Instituts für Archäologische Wissenschaften der Goethe-Universität. „Nach meiner Kartierung der lokalisierbaren Gernsheimer Fundstellen befinden wir uns ganz am westlichen Rand der Fundkonzentration, unmittelbar am Rand der Niederterrasse, denn der nicht weit entfernte Winkelbach verläuft bereits in der Rheinniederung“, erklärt Grabungsleiter Maurer. Auf fast allen benachbarten Grundstücken wurden in den 1970er und 80er Jahren vereinzelt römische Funde notiert. „Der Platz erschien daher als lohnenswertes Grabungsziel, was sich voll bestätigt hat.“

15 Studierende des Faches „Archäologie und Geschichte der römischen Provinzen“ sorgten in den vergangenen fünf Wochen dafür, dass das Erdreich sorgsam abgetragen, die Befunde vermessen und dokumentiert sowie die Funde nach Befundeinheiten geborgen und verpackt wurden. Unterstützt wird die Tätigkeit der Frankfurter Archäologen vom Landesamt für Denkmalpflege Hessen (hessenARCHÄOLOGIE, Außenstelle Darmstadt) sowie vom Kunst- und Kulturhistorischen Verein der Schöfferstadt Gernsheim. Einige Mitglieder dieses Vereins, der auch das Heimatmuseum betreibt, standen dem Grabungsteam täglich mit Rat und Tat zur Seite. Die Dokumentation und das Fundmaterial aus dieser Grabungskampagne bildet die Grundlage einer universitären Abschlussarbeit, die im kommenden Wintersemester in Angriff genommen wird.

 Bilder zum Download gibt es hier (.zip).

Informationen: Dr. Thomas Maurer, Institut für Archäologische Wissenschaften, Campus Westend, Tel: 0177-5672114, t.maurer@em.uni-frankfurt.de

Veranstaltungen

Sep 2 2014
10:51

Tagung des Instituts für Jugendbuchforschung im Holzhausenschlösschen – Öffentliche Abendvorträge

Kinder und Jugendliche als Zielgruppe für Propaganda im Ersten Weltkrieg

FRANKFURT. Der Erste Weltkrieg gilt als einer der ersten modernen Propagandakriege. So wurden in allen beteiligten Ländern auch Bilder-, Kinder- und Jugendbücher für kriegspropagandistische Zwecke eingespannt. Internationale Experten treffen sich vom 10. bis 12. September im Frankfurter Holzhausenschlösschen zu der Tagung „1914/2014 – Erster Weltkrieg. Kriegskindheit und Kriegsjugend, Literatur, Erinnerungskultur“. Sie wollen beleuchten, welche Auswirkungen der Weltkrieg auf Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene hatte und wie diese sich in der Literatur, in Tagebüchern und Schulaufsätzen niedergeschlagen haben.

Im Rahmen dieser Tagung finden zwei öffentliche Vorträge statt: Am Mittwochabend (10.9., 19.30 Uhr) sprechen die Historikerin Barbara Stambolis (Paderborn) und der Historiker Jürgen Reulecke (Gießen) über „Kriegskinder des Ersten Weltkriegs: Erfahrungen, Prägungen und rückblickende Selbstreflektionen der Jahrhundertgeneration“. Am Donnerstagabend (12.9., 19,30 Uhr) hält der französische Historiker Stéphane Audoin-Rouzeau (Paris) einen Vortrag in französischer Sprache zum Thema „Mort des jeunes, mort des étudiants en 1914-1918“.

„Es gehört zur Tradition des Instituts für Jugendbuchforschung, zu markanten Daten und Anlässen mit wissenschaftlichen und kulturellen Aktivitäten an die Öffentlichkeit zu treten“, sagt der Direktor des Instituts, Prof. Hans-Heino Ewers. So hat sich das Institut in diesem Jahr mit wissenschaftlichen und kulturellen Projekten intensiv mit dem Ersten Weltkrieg und seiner Spiegelung in der Kinder- und Jugendliteratur beschäftigt – „und dies auch als Teil des eigenen wie des gesamtuniversitären Jubiläums“, ergänzt Ewers. Die geplante Tagung versteht sich als Fortsetzung des internationalen Projekts „Approaching War: Childhood, culture and the First World War“, in dessen Rahmen bereits Tagungen in Sidney (Dezember 2011), Toronto (Mai 2012) und Newcastle (März 2013) durchgeführt wurden. In Frankfurt werden Referenten aus Belgien, Deutschland, England, Frankreich, Polen, Kanada, Österreich und den USA erwartet. Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch. Die Tagung findet in Kooperation mit dem eng mit der Universität kooperierenden Institut français d’histoire en Allemagne und der Frankfurter Bürgerstiftung im Holzhausenschlösschen statt. Sie wird gefördert durch die Universität Frankfurt und die Waldemar-Bonsels-Stiftung, München.

Im Ersten Weltkrieg wurden sämtliche Kommunikationsmedien in Anspruch genommen, um die Bevölkerung in der Heimat für den Krieg einzunehmen. Dies gilt für alle beteiligten Mächte: für Deutschland und Österreich ebenso wie beispielsweise für Frankreich und England. Zu den Zielgruppen zählten in besonderer Weise auch Kinder und Jugendliche, Jungen ebenso wie Mädchen. Für sie wurde eine Flut von Bilder-, Kinder-, Jungen- und Mädchenbüchern sowie Zeitschriften herausgebracht. In den Schulen wurden die Kinder angehalten, ihre Erlebnisse in Form von Schüleraufsätzen und Schülerbildern festzuhalten und auch Tagebücher zu führen. Der Krieg schuf in allen beteiligten Ländern eine eigene Informations- und Medienkultur, die bislang noch weitgehend unerforscht ist.

„Mit Fortgang des Krieges änderte die literarische Kriegspropaganda ihren Charakter: Aus hurrapatriotischer Kriegsverherrlichung wurde eine ernste Durchhaltepropaganda, die mehr und mehr den realen Erfahrungen sowohl der Soldaten wie der Daheimgeblieben, der Familien, der Kinder und Jugendlichen, Rechnung tragen musste“, so Ewers. Gegen Kriegsende und in der Zwischenkriegszeit nahm international die Literatur zu, die sich kritisch mit dem Kriegsgeschehen auseinandersetzte. „Diese wurde zu einem großen Teil von Angehörigen der Generation der jungen Frontsoldaten verfasst; Erich Maria Remarques ‚Im Westen nichts Neues‘ ist dafür prototypisch. Umfangreicher scheint jedoch die weiterhin kriegsbejahende Literatur gewesen zu sein, für die heute der Name Ernst Jüngers steht“, ergänzt der Frankfurter Literaturwissenschaftler Ewers. 

Informationen: Informationen: Prof. Hans- Heino Ewers, Institut für Jugendbuchforschung, Fachbereich Neure Philologien, Tel: (069)798 32995, ewers@em.uni-frankfurt.de, Programm im Internet http://www.uni-frankfurt.de/fb/fb10/jubufo/

Veranstaltungen

Sep 1 2014
16:58

Wissenschaftler unterzeichnen Stellungnahme zu Beginn des Kongresses „Horizonte der Islamischen Theologie“ – Frankfurter Erklärung im Wortlaut

Islamische Theologen: Deutungshoheit über den Islam nicht militanten Extremisten überlassen

FRANKFURT. Zu Beginn des an der Goethe-Universität stattfindenden Kongresses „Horizonte der Islamischen Theologie, zu dem sich noch bis Freitag etwa 400 Teilnehmer in der Main-Metropole treffen, haben die Vertreter der Standorte für Islamisch-Theologische Studien in Deutschland eine Stellungnahme zu den aktuellen politischen Entwicklungen im Nahen Osten veröffentlicht. Sie zeigen sich darin tief bestürzt über das unmenschliche Vorgehen der Anhänger des „Islamischen Staats“. Die Deutungshoheit über den Islam dürfe nicht militanten Extremisten überlassen werden, die auch unter jungen Menschen in Europa zunehmend Anhänger fänden, sondern müsse in Deutschland aus der Mitte der Gesellschaft – unter anderem aus den Universitäten – erfolgen. Ursachen für das gewaltzentrierte Religionsverständnis sehen die Unterzeichner u. a. in den desolaten soziopolitischen Umständen im Nahen Osten und auch in anderen Teilen der Welt.

Hier die Stellungnahme im Wortlaut, die inzwischen von vielen weiteren Wissenschaftlern unterzeichnet wurde.

„Wir sind zutiefst bestürzt über die aktuellen Ereignisse im Nahen Osten und über den Terror, den der sogenannte ‘Islamische Staat‘ (IS) gegenüber Zivilisten und Gefangenen jeglichen Glaubens walten lässt. Die ungeheuerliche Gewalt, die von den Anhängern des IS ausgeht, negiert alle Regeln der Menschlichkeit und zivilisatorischen Normen, für deren Herausbildung auch der Islam eine wichtige Rolle gespielt hat und an denen er teilhat. Solche Deutungen des Islam, die ihn zu einer archaischen Ideologie des Hasses und der Gewalt pervertieren, lehnen wir strikt ab und verurteilen diese aufs Schärfste.

Angesichts der steigenden Zahl an jungen Menschen in Europa, die sich dem Gedankengut des IS und anderer extremistischer Formationen anschließen, sind wir uns als VertreterInnen von islamisch-theologischen Fächern der Notwendigkeit und Verantwortung bewusst, sich solchen Deutungen des Islam gerade mit Bezug auf die islamischen Traditionen entgegenzustellen. Die Deutungshoheit über den Islam darf nicht Extremisten und Gewalttätern überlassen werden und muss in Deutschland aus der Mitte der Gesellschaft heraus – unter anderem an den Universitäten – erfolgen. 

Wir setzen uns, nicht zuletzt in unserer universitären Arbeit, für einen Islam ein, aus dem sich Humanität, Gewaltfreiheit, Wertschätzung der Pluralität und Respekt für Menschen ungeachtet ihrer Zugehörigkeiten schöpfen lassen. 

Die aktuellen Konflikte im Nahen Osten und auch in anderen Teilen der Welt zeigen, wie rasant sich unter desolaten soziopolitischen Umständen ein gewaltzentriertes Religionsverständnis herausbilden kann. 

In demokratisch-freiheitlich verfassten Staaten Europas sehen wir demgegenüber die Chance, an das reiche Erbe der geistesgeschichtlichen und religiösen Tradition des Islam anzuknüpfen und uns in der Begegnung mit anderen, auch kritischen Perspektiven zu öffnen. So sollen Studierende befähigt werden, eigene religiöse Ressourcen als Mittel zur Gestaltung eines produktiven Miteinanders zu begreifen und sich gestalterisch in die Zukunft der deutschen Gesellschaft einzubringen. Hierzu gehört auch die Anerkennung der Muslime als Teil Deutschlands und das Ernstnehmen vergangener und jüngster islamfeindlicher Übergriffe als Hindernisse auf diesem Weg. 

Nur durch eine reflektierte Auseinandersetzung mit der islamischen Lehre und Praxis unter freiheitlichen Bedingungen lässt sich die islamische Wissens- und Normenproduktion von krisenhaften Verhältnissen und Kontexten der politischen Repressionen entkoppeln. Und nur so können produktive Antworten des Islam auf die Herausforderungen des globalen Zusammenlebens gefunden werden. Hierfür ist die freie akademische Wissensproduktion an deutschen Universitäten eine wichtige Voraussetzung.

Prof. Dr. Bekim Agai, geschäftsführender Direktor am Institut für Studien der Kultur und Religion des Islam, Goethe-Universität Frankfurt a.M
Prof. Dr. Maha El-Kaisy Friemuth, geschäftsführende Direktorin am Department Islamisch-Religiöse Studien, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Prof. Dr. Mouhanad Khorchide, geschäftsführender Direktor am Zentrum für Islamische Theologie, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Prof. Dr. Yasar Sarikaya, Professur für Islamische Theologie und ihre Didaktik, Justus-Liebig-Universität Gießen
Prof. Dr. Erdal Toprakyaran, geschäftsführender Direktor am Zentrum für Islamische Theologie, Eberhard Karls Universität Tübingen
Prof. Dr. Bülent Ucar, geschäftsführender Direktor am Institut für Islamische Theologie, Universität Osnabrück

Unter der E-Mail-Adresse stellungnahme.islamische-theologie@outlook.com kann die Stellungnahme mit der Angabe von Name und Institution unterzeichnet werden.

Zum Kongress „Horizonte der Islamischen Theologie“

Die thematische Bandbreite des Kongresses umfasst die Disziplinen der Islamischen Theologie und relevante Forschungsbereiche angrenzender Wissenschaften. Paneltitel von „Neue Wege in der Koranauslegung“ und „Wörtliche Auslegung islamischer Texte“ über „Bioethik“ und „Feministische Theologie“ bis hin zu „Neue Erkenntnisse zur arabischen Syntax“ zeugen von der breiten Themenpalette des Kongresses. Dabei werden international bekannte Persönlichkeiten wie der südafrikanische muslimische Theologe und Anti-Apartheids-Aktivist Farid Esack und der iranische Philosoph und Vordenker Abdolkarim Soroush als Referenten erwartet. Aus Deutschland kommen unter anderem der Frankfurter Theologe und Koranwissenschaftler Ömer Özsoy, die Frankfurter Ethnologin Susanne Schröter vom Exzellenzcluster sowie der Münsteraner Religionspädagoge Mouhanad Khorchide und Hanna Liss, Expertin für jüdische Bibelauslegung aus Heidelberg.

Informationen: Tim Sievers, B.A., Institut für Studien der Kultur und Religion des Islam, Fachbereich  Sprach- und Kulturwissenschaften, Tel.: 069-798-32767; Mobil: 0160 8710147, tim.sievers@em.uni-frankfurt.de, www.kongress-islam.uni-frankfurt.de