Okt 6 2009

Eine „dezentralisierte Nationalbibliothek“ erschließt Deutschlands Schrifttum

„Ein Meilenstein für die kulturelle Überlieferung“: Sammlung Deutscher Drucke besteht 20 Jahre

FRANKFURT. 100.000 Werke aus allen Epochen und Wissensgebieten neu erworben und für die Nutzung erschlossen: Diese ansehnliche Bilanz kann die Arbeitsgemeinschaft Sammlung Deutscher Drucke (AG SDD) zu ihrem 20-jährigen Bestehen im Jahr 2009 ziehen. Die Bedeutung dessen, was der aus sechs Bibliotheken bestehende Verbund leistet, geht jedoch weit über beeindruckende Zahlen hinaus. In ihrer Funktion als verteilte Nationalbibliothek hat die Sammlung die Gesamtverantwortung für einen Teil des großen kulturellen Erbes Deutschlands: Sie sammelt und erschließt umfassend deutsche Druckwerke und macht sie damit auch für die Forschung verfügbar. Möglich wurde dies mit einer fünfjährigen Initialförderung von 25 Millionen Mark durch die VolkswagenStiftung, in deren Geschäftsstelle im Juni 1989 mit der Unterzeichnung einer gemeinsamen Erklärung die Basis für die Zusammenarbeit der Bibliotheken gelegt wurde.

„Es erfüllt mich mit Freude zu sehen, welche Früchte eine finanziell zwar großzügige, aber doch befristete Fördermaßnahme getragen hat“, betonte der Generalsekretär der VolkswagenStiftung, Dr. Wilhelm Krull, im Rahmen einer heutigen Pressekonferenz an der Frankfurter Goethe-Universität. Mit Blick auf die kulturpolitische Bedeutung des Vorhabens fügte er hinzu: „Sein dauerhaftes Gelingen ist ein bedeutender Meilenstein im Kontext der kulturellen Überlieferung.“

Berndt Dugall, Direktor der Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg und derzeitiger Vorsitzender der AG SDD, informierte im Anschluss über die Hintergründe und Leistungen des Verbundprojekts: „Die vorrangige Aufgabe der 1989 ins Leben gerufenen ‚Sammlung Deutscher Drucke 1450 bis 1912‘ besteht in der gezielten Anschaffung von Drucken aus dem deutschen Sprachraum oder Drucken des Auslands in deutscher Sprache, die noch in keiner anderen Bibliothek vorhanden sind. Damit werden Bestandslücken geschlossen, die daraus resultieren, dass Deutschland über keine klassische Nationalbibliothek verfügt, da der Sammelauftrag der Deutschen Nationalbibliothek erst 1913 beginnt. Im Gegensatz dazu stehen Nationalbibliotheken wie die Bibliothèque Nationale in Paris oder die British Library in London, die die jeweilige Landesliteratur von Anbeginn umfänglich sammelten und sammeln.“

Die Bestandslücken in der deutschen Literatur vor 1913 wurde in den 1980er Jahren von Geisteswissenschaftlern immer wieder heftig bemängelt, denn die Verfügbarkeit der unterschiedlichsten Originalquellen ist gerade auch für die geisteswissenschaftliche Forschung eine der Grundvoraussetzungen. Schließlich hatte der Münsteraner Anglistikprofessor Bernhard Fabian die Idee einer „verteilten, retrospektiven Nationalbibliothek“ und es gelang ihm die VolkswagenStiftung von der Förderungswürdigkeit des Vorhabens zu überzeugen.

Seit 1989 teilen sich die folgenden Bibliotheken diese Aufgabe in Zeitscheiben:

- Bayerische Staatsbibliothek, München (1450 bis 1600)
- Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel (1601 bis 1700)
- Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek, Göttingen (1701 bis 1800)
- Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Frankfurt (1801 bis 1870)
- Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz (1871 bis 1912)

Nach Auslaufen der Initialförderung kam als weiteres Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Sammlung Deutscher Drucke die Deutsche Nationalbibliothek (ab 1913) hinzu. Durch das verlässliche Zusammenwirken der beteiligten Bibliotheken und das beständige Engagement ihrer Unterhaltsträger wurde die Vision Fabians von einer „verteilten, retrospektiven Nationalbibliothek“ mit Leben erfüllt. Aber auch wenn der ursprüngliche Anstoß aus den Geisteswissenschaften kam, werden doch Drucke aller Fachgebiete umfänglich gesammelt. So zeigt es sich häufig, dass gerade bei populären Volksbüchern die größten Bestandslücken bestehen, da diese in früheren Jahrhunderten oft nicht als „sammelwürdig“ erachtet wurden.

Welchen Beitrag sie jeweils zum Gelingen der großen Gemeinschaftsaufgabe in den vergangenen Jahren geleistet haben, darüber informieren die sechs Bibliotheken in der aktuellen Festschrift ‚20 Jahre Sammlung Deutscher Drucke‘ (herausgegeben von der Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg im Auftrag der AG SDD).

Das Jubiläum wird mit einem Symposium am 16. und 17. Oktober in Kooperation mit der VolkswagenStiftung und der Frankfurter Buchmesse gefeiert und findet auch im Rahmen der Buchmesse statt. Unter dem Titel ‚Nationale Verantwortung für kulturelle Überlieferung‘ diskutieren BibliotheksvertreterInnen und WissenschaftlerInnen aus dem In- und Ausland kulturwissenschaftliche Themen und bibliographische Fragestellungen wie etwa ‚Strategien der Erschließung‘ oder ‚Digitization and Democratization‘. Redner sind unter anderem Prof. Robert Darnton (Harvard Library), Graham Jefcoate (Nimwegen), Prof. Hans-Erich Bödeker (Max Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin) und der Verleger Prof. Wulf von Lucius. Das Symposium eröffnet am 16. Oktober um 13 Uhr mit Grußworten und einem Kurzvortrag. Es endet am 17. Oktober um 15 Uhr mit einer Podiumsdiskussion, in deren Rahmen Vertreter der großen deutschen Förderinstitutionen (z.B. Deutsche Forschungsgemeinschaft oder VolkswagenStiftung) zum Thema Stellung beziehen.

Am Vorabend des Symposiums, am 15. Oktober ab 16 Uhr, stellt sich die AG SDD im Konferenzraum des Zentrums für Bibliothekare auf der Buchmesse mit einer Lesung zu China, dem diesjährigen Gastland der Buchmesse vor. Ursula Illert (Hessischer Rundfunk) und Markus Hoffmann (Sprecher des Hörbuchbestsellers ‚Der Drachenläufer‘) lesen aus Reiseberichten verschiedener Epochen.

Informationen Dr. Angela Hausinger, Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg, Campus Bockenheim/Campus Riedberg. Tel: (069) 798-22365/-29101, a.hausinger@ub.uni-frankfurt.de Dr. Christian Jung, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit VolkswagenStiftung, Kastanienallee 35, 30519 Hannover. Tel: (0511) 8381-380, jung@volkswagenstiftung.de
Beispiele ausgewählter Erwerbungen der AG SDD: www.ag-sdd.de Die Festschrift ist kostenfrei erhältlich über Lindsey Fairhurst (l.fairhurst@ub.uni-frankfurt.de, Tel: 069-798-39231).

Interessierte Medienvertreter sind herzlich zur Teilnahme an den Veranstaltungen im Rahmen der Buchmesse eingeladen. Bitte registrieren Sie sich zuvor bei Lindsey Fairhurst (l.fairhurst@ub.uni-frankfurt.de, Tel: 069-798-39231). Programm: www.ub.uni-frankfurt.de/messe/symposium2009/einleitung

Bildunterschriften:

ub ffm1:
Friedlieb Ferdinand Runge: Zur Farben-Chemie : Musterbilder für Freunde des Schoenen und zum Gebrauch für Zeichner, Maler, Verzierer und Zeugdrucker. Berlin : Mittler, 1850 Universitaetsbibliothek Johann Christian Senckenberg

ub ffm2:
Auch eine Welt-Anschauung! : vide: Sitzung vom 26ten July [1848] Frankfurt : May, 1848 Universitaetsbibliothek Johann Christian Senckenberg